Reaktionen aus der Schweiz

Was ist aus der elektrischen Armbanduhr geworden?

aus: Neue Uhrmacher Zeitung 1958/9

Im Frühjahr 1952 wurde diesseits und jenseits des Ozeans mit großem Reklameaufwand eine revolutionäre Erfindung angekündigt: Sowohl die französische Uhrenfabrik "Lip" wie die amerikanische "Elgin Watch" wollten eine sog. elektrische Armbanduhr auf den Markt bringen. Die internationale Presse wies auf die außerordentliche Bedeutung dieses Ereignisses hin, immerhin nicht, ohne ihre Leser um etwas Geduld zu bitten, da notwendigerweise zwischen der Herstellung der Prototypen und der serienmäßigen Fabrikation eine gewisse Zeit verstreichen müsse. Die ersten elektrischen Uhren sollten 1954 auf dem Markt erscheinen.

In der Schweiz interessierten sich die Fachleute für die Arbeit ihrer amerikanischen und französischen Kollegen, ohne in die enthusiastische Erwartung weiter Kreise einzustimmen. Sie stellten vorerst fest, daß das versprochene Wunder nicht eine elektronische, sondern eine elektrische Uhr war. Gerade auf diesem Gebiet aber befand sich die Schweiz keineswegs im Rückstand; mehrere Schweizerische Uhrenfabriken verfügten in ihren Laboratorien längst über elektrische Uhren, und sie wären durchaus in der Lage gewesen, sie auf den Markt, bringen. Sie haben darauf jedoch bewußt verzichtet, weil die mit einer Mikrobatterie angetriebenen "elektrischen" Uhr ihrer Ansicht nach keinen wirklichen Fortschritt darstellen.

1954, 1955 und 1956 vergingen, ohne daß die elektrische Uhr auf dem Markt erschien. Der amerikanische und europäische Uhrenhandel begann ungeduldig zu werden. Geschickte Vertreter hatten die Uhrmacherdetaillisten veranlaßt, sich durch sofortige Bestellung auf die kuranten Modelle der betreffenden Fabriken die Chance zu sichern, beim Verkauf dieser elektrischen Armbanduhren unter den ersten zu sein. Aber die Lieferung blieb aus.

Im Januar 1957 begann dann eine weitere amerikanische Uhrenfabrik, die Hamilton Watch Co., eine großaufgezogene Reklame, mit der die Öffentlichkeit vom baldigen Erscheinen der elektrischen Uhr in Kenntnis gesetzt wurde. Neue Erwartung, neue Enttäuschung: in letzter Minute verzögerten technische Schwierigkeiten die Lancierung. Endlich, im Frühjahr 1957, erhielten einige Vertreter der Hamilton einige Uhren mit elektrischem Antrieb. Aber ihr Enthusiasmus war inzwischen gesunken, wie auch derjenige des Publikums; die Werbung war zu früh, die Ware zu spät gekommen.

Ohne Überzeugung stehen Uhrmacher und Käufer heute vor einer Neuerung, die den Beweis für ihren Nützlichkeitswert noch nicht abgelegt hat. Gewiß sind Neuheiten immer attraktiv, auch wenn ihnen keine praktische Bedeutung zukommt. Die elektrische Uhr aber schreckt durch ihren (zu) hohen Preis ab. Die Amerikaner sind zwar immer bereit, für etwas Neues und Ungewöhnliches Geld auszugeben; aber 200 Dollar ist ihnen in diesem Falle der Spaß offenbar nicht wert; der Preis bildet das erste Hindernis für einen nennenswerten Absatz der Uhr.

Um reale Erfolgschancen zu haben, muß die elektrische Uhr vor allem einigermaßen widerstandsfähig sein. Aus den bisherigen Erfahrungen geht jedoch nicht hervor, daß es den Herstellern gelungen ist, ihrem Produkt jene Lebensdauer zu verleihen, wie sie heute bei den "klassischen" Armbanduhren als selbstverständlich hingenommen wird. So bleibt bis auf weiteres die Qualitätsuhr mit Ankerwerk und Selbstaufzug die sicherste und stabilste Gebrauchsuhr.

Die elektrische Uhr bedarf verständlicherweise einer besonderen Wartung. Die Hamilton Watch, der einzige mit dem Publikum in Verbindung stehende Produzent, konnte sich jedoch nicht dazu entschließen, allfällige Reparaturen dem Uhrmacherdetaillisten zu überlassen. So fühlte sich der Fachhandel ausgeschaltet, ja bedroht, und statt die neue Entwicklung zu fördern, bremste er sie - mit Recht! - ab.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die elektrische Uhr bis heute nicht jene Glanzrolle zu spielen Gelegenheit hatte, die ihre Paten ihr 1952 zugedacht haben. Ihre Zukunft würde sich wohl erfolgreicher gestalten, wenn es gelänge, technische und kommerzielle Unzulänglichkeiten zu beseitigen, die dem Erfolg heute noch im Wege stehen.

(E. D. in "Der Bund", Bern)

Die elektrische oder elektronische Armbanduhr

von Bernhard Dierich, Uhrmachermeister, in Neue Uhrmacher-Zeitung 1957/3

Der Wissenschaftlich=Praktische Erfahrungsaustausch im Hause Flume in Essen hatte durch die Referate namhafter Experten über die "Zukunft der mechanischen Uhr" besondere Bedeutung und zeigte durch den internationalen Besuch das Interesse an der elektrischen oder elektronischen Armbanduhr, über deren Entwicklung durch Ingenieur Jean Harri von der Ebauches SA. referiert wurde. Er gab bekannt, daß auch die amerikanische Uhrenfabrik Hamilton eine elektrische, mit hervorragenden Gangzeugnissen ausgestattete Armbanduhr geschaffen hat, die der von der Ebauches SA. bereits 1953 vollendeten Uhr gegenübersteht. Das Schweizer Produkt zeichnet ich nach den Zeitwaagentesten des Uhrenwissenschaftlers Dr. Straumann in den verschiedensten Temperaturen und Lagen durch eine hohe Präzision aus und übertrifft mit vier Sekunden Tagesdifferenz die normalen mechanischen Armbanduhren mit gleich großen Bauelementen.

Das Bemühen um die elektrische Armbanduhr geht mehr als hundert Jahre zurück und konzentrierte sich jetzt unter Benutzung der Ergebnisse der neuesten physikalischen Forschung auf die Armbanduhr, die eine ungewöhnliche Spezialbatterie voraussetzt. Sie bildete das Hauptproblem, weil sie an vier Grundforderungen gestellt wurden: 1. kleinstes Volumen bei einer maximalen Energie, 2. hermetische Abdichtung, 3. eine vorteilhafte Entladungskurve, 4. Temperaturfestigkeit bei langer Lagerung.

Nach langen mühevollen Laboratoriumsversuchen hat sich die von den Vereinigten Staaten benutzte Quecksilberoxyd= oder Mallory=Batterie bestens bewährt, weil die Energiedichte nur minimal abnimmt und sich auch bei längerer Lagerung die Kapazität der Batterie relativ groß erweist. So variiert die elektromotorische Kraft selbst bei extremen Temperaturen von -40 Grad bis +70 Grad nicht mehr als drei Prozent. Ingenieur Harri stellte bei den Untersuchungen über den Energieverbrauch der elektrischen Armbanduhr fest, daß die Gangreserve mittels des elektrischen Dispositivs 1000mal größer ist als bei einer mechanischen Uhr.

18 Monate Gangleistung

Das Novum aus Neuchâtel ist in Gehäuseform und Zifferblatt von der klassischen Eleganz hochwertiger Schweizer Spitzenmarken und behält die Zeitangabe durch Stunden=, Minuten= und Sekundenzeiger bei, obgleich sie nicht an dieses übliche System gebunden ist. Ebenfalls sind Unruh und Spirale verwendet worden. Das Werk als ganzes unterscheidet sich jedoch wesentlich von der mechanischen Uhr. Der Raum für Federhaus und Aufzugpartie wird durch die elektronische Batterie gefüllt, die in Verbindung mit den kaffeebohnengroßen Spulen des Motors steht. Die Spezialbatterie garantiert eine Gangleistung von 18 Monaten und muß nach dieser Zeit mit wenigen Handgriffen ausgewechselt werden. Da die Unruh pro Sekunde drei Schwingungen oder sechs Halbschwingungen ausführt, schließt sich in jeder Minute der Kontakt 360-mal. Er teilt seine Impulsionen bei einwandfreien Kontakten der Unruh und Spirale in genauen Phasen mit. Infolge der gleichen Impulsionen der Batterie ergibt sich ein Reguliervorteil, der in dieser Hinsicht noch die Wirkung des mechanischen Selbstaufzugs übertrifft.

75 bis 150 Dollars

Zusammenbau und Demontage dieser elektrischen Armbanduhr sind denkbar einfach, wenngleich das Problem der empfindlichen Kontakte als eine noch zu überwindende Schwierigkeit besteht.

Zunächst ist diese Uhr in einer kleinen Serie hergestellt worden und wird erst bei Konkurrenzzwang in die laufende Produktion gehen. Über den Erfolg werden der Preis und die noch zu vergrößernde Stromdauer entscheiden. Die Hamilton=Armbanduhr kostet 75 bis 150 Dollars, und die Schweiz sagt voraus, daß auch ihre elektrische Armbanduhr teurer sein wird als die bisherige Automatic.

Der Vorteil dieser neuen Uhr ist die Unabhängigkeit vom Selbstaufzug und der durch ihn geschaffenen Gangreserve, d. h., daß das Gehen nicht an das Tragen gebunden ist. Ein Nachteil ist allerdings das Auswechseln der Batterie, die als Original in jedem Fachgeschäft vorrätig sein müßte. Im Falle der Serienproduktion wäre zumindest hier die in der Uhrenbranche noch immer fehlende Normung angebracht.

Zweckmäßige Konstruktion

Den internationalen Fachleuten war es nicht leicht, in das ungewöhnliche Gebiet der elektronischen Armbanduhr einzudringen, und Ingenieur Harri aus Neuchâtel bemühte sich, den Stoff möglichst gegenständlich darzustellen. Ausgehend von dem neuen Element der elektrischen Industrie, dem Transistor, legte er die Wirkungsweise sowohl des Spitzentransistors als des Flächentransistors dar.

Die elektronische Armbanduhr der Ebauches SA. mit einem Durchmesser von 50 mm verzichtet ebenfalls nicht auf die Unruh und Spiralfeder, die in diesem Falle elektronisch gesteuert werden. So wie bei der elektrischen Armbanduhr ist auch hier die Konstruktion einfach und zweckmäßig. Die drei Teilstücke des Werkes lassen sich durch vier Schrauben voneinander trennen und gliedern sich in den mechanischen Teil mit Räderwerk und Unruh, den elektrischen Teil, d.h. den Motor, der die Schwingungen der Unruh unterhält und den elektronischen, der aus dem Transistorenverstärker besteht. Ein großer Vorteil ist hier das Fehlen mechanischer Kontakte, die auf die Unruh wirken. Die damit erreichten freien Schwingungen sind Voraussetzung für die erwiesene Präzision. Wenn gleich bei der elektronischen Uhr noch große Schwierigkeiten zu überwinden sind, funktioniert sie jedoch schon einwandfrei. Bei Zeitwaagenkontrollen erwarb sie trotz erheblicher Temperaturunterschiede von -20 Grad bis +60 Grad beste Gangzeugnisse.

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