Die Geburt der elektrischen Armbanduhr 1952-1962

Die Geschichte der elektrischen Armbanduhr beginnt eigentlich früher. Spätestens seit Ende des 2. Weltkriegs begannen verschiedene Firmen und Labors mit der Entwicklung. Die größten Probleme gab es mit der Stromversorgung und der Konstruktion des elektrischen Kontakts. Die Erfindung des Transistors 1949 beflügelte zwar die Fantasie, hatte aber zunächst keine praktische Auswirkung.

Wir beginnen den Rückblick mit der ersten Ankündigung einer Uhr durch Elgin und Lip 1952 und enden 10 Jahre später. Die Erwartungen an die neue Technik aber auch die Skepsis ihr gegenüber wird an Ausschnitten aus Artikeln in Fachpublikationen dokumentiert.

Dabei kann man den Beteiligten, Herstellern wie Uhrmachern, gewiss keine Fortschrittsfeindlichkeit vorwerfen, hatte die Branche doch gerade die Umstellung von der Taschen- zur Armbanduhr hinter sich gebracht und mit der Einführung automatischer Uhren begonnen, als...


19.3.1952: J.G. Shennan, Präsident der Elgin National Watch Company Fred Lip, Präsident der Lip S.A. kündigen zeitgleich in Chicago bzw. Paris ihre elektronische Armbanduhren an.


Die elektrische Armbanduhr,
eine französische und amerikanische Erfindung

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/8

Wer die Priorität für die Erfindung der mit einer Trockenbatterie betriebenen Armbanduhr beanspruchen kann, ist eine schwierige Frage; denn sie wurde offenbar fast gleichzeitig von der französischen Uhrenfabrik Société des Montres Lip und von der amerikanischen Uhrenfabrik Elgin National Watch Company zum ersten Male gezeigt. >>> weiter


Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/11Die elektrische Kleinuhr

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/11

Wir sind heute in der Lage, einem Mitarbeiter in den USA das Wort zu geben, der zusammenfassend darüber berichtet, was von der Elgin National Watch Co. - am gleichen Tage, an dem auch die Firma Lip ihre sensationell aufgezogenen und wirkenden Mitteilungen machte - über die elektrische Kleinuhr bekanntgegeben wurde. >>> weiter


Neben den rein sachlichen, teilweise auch euphorischen Reaktionen, gab es aber auch kritische Stimmen. Insbesondere die Schweiz sah sich genötigt zu Begründen, warum sie nicht an vorderster Front diese Entwicklung vorangetrieben hat.


Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/15Über "elektronische" Armbanduhren

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/15

Fachpresse und Tagespresse veröffentlichten kürzlich Meldungen und ganze Abhandlungen über eine sog. "elektronische" Armbanduhr. Danach wäre sowohl einer amerikanischen als auch einer französischen Uhrenfabrik die Konstruktion einer solchen Uhr gelungen. Die Nachricht hat ganz naturgemäß die schweizerische Uhrenindustrie und auch die weitere Öffentlichkeit aufhorchen lassen. Die einen Fachleute verneinen kurzerhand die Möglichkeit, solche Uhren fabrikationsmäßig herzustellen, andere glauben wieder, daß es heute möglich ist, sie zu fabrizieren. >>> weiter


Über die Technik gab es nur sehr ungenaue Informationen. Man hatte die elektrische Uhr offensichtlich sehr frühzeitig angekündigt und war nun peinlich genau darauf bedacht, der Konkurrenz keine Details zukommen zu lassen. Daher war man auf die Patentbeschreibungen (z.B. das französische Patent 1.011.914, eingereicht am 21. April 1949) und teilweise wilde Spekulationen angewiesen. Auch ein Interview mit Fred Lip warf für die meisten Leser mehr Fragen auf, als es beantwortete.


Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/18Die elektronische Armbanduhr

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/18

Es ist mir eine besondere Ehre, Sie heute etwas näher mit der "elektronischen" Uhr bekannt zu machen. Diese Uhr ist das Ergebnis langjähriger, eingehender Forschungsarbeit in den Laboratorien unseres Unternehmens in Besancon. Es ist bekannt, daß ähnliche Forschungen in verschiedenen Ländern bereits seit einigen Jahren durchgeführt wurden aber infolge der großen Anzahl der zu lösenden Probleme verliefen sie zumeist erfolglos oder mußten aufgegeben werden. >>> weiter


Ein interessantes Interview

Fabrikant Lip plaudert über die Erfindung der "Electronic-Uhr"

Frage: "Ihre Uhr hat eine sehr große Neugierde erweckt und wir möchten gerne, daß Sie uns selbst das Wort Electronic auseinandersetzen, zumindest, was die Verwendung dieses Wortes in bezug auf diese neue Uhr betrifft." >>> weiter

Noch einmal: DIE »ELEKTRONISCHE« UHR

Während die Abhandlungen in der NUZ verwirrend, widersprechend und die Antworten ausweichend sind, spricht das in Nr. 18/1952 veröffentlichte Foto eine eindeutig aufgeschlossene Sprache. >>> weiter


Neue Uhrmacher-Zeitung 1953/8 ???Die Elektronen-Armbanduhr

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1954/13

Patentbeschreibung der Lip=Erfindung

Diese Patentbeschreibung behandelt das dabei angewendete Impulssystem. Es werden keine Aufklärungen darüber gegeben, wie die Balance (Unruh) die Zeiger treibt. Da die Hinundherbewegung der Balance zu einer Rotation in einer Richtung verwandelt werden muß, wird wahrscheinlich eine Art Sperrvorrichtung verwendet.

Einzelheiten der Balance und der elektrischen Teile werden in der Skizze, welche der Patentbeschreibung entnommen ist, gezeigt. >>> weiter


Spekulationen und Gerüchte

NACH "ELECTRONIC" - "CHIMIC"

...Schließlich erwähnte Fred Lip, daß die elektrischen Kleinuhren eine wichtige aber wahrscheinlich nicht die letzte Etappe auf dem Gebiet der Zeitmessung seien. In 15 bis 20 Jahren sei die Herstellung von "Chimic"-Uhren, an deren Verwirklichung bereits gearbeitet wird, zu erwarten. >>> weiter

Die Atom-Uhr

USA-Ingenieure sind z.Zt. dabei, eine Atom-Armbanduhr zu bauen, die an Genauigkeit alle bisher existierenden Uhren, einschl. der elektronischen Uhr, übertreffen wird. >>> weiter


Erst fünf Jahre später erfolgte der nächste Paukenschlag. Die erste elektrische Armbanduhr wurde in den Verkauf gegeben. Aber nicht von den beiden ersten Protagonisten Elgin und Lip, sondern von der amerikanischen Firma Hamilton. Dort hatte man auch schon sehr früh mit der Entwicklung elektrischer Armbanduhren begonnen (siehe die US-amerikanischen Patente zur sogenannten Fillinger und Koehler Uhr, Nr. 2.577.703 (31.10.1947) bzw. 2.662.366 (19.10.1951)). Aber aufgeschreckt durch die Ankündigung des Konkurrenten Elgin, wurde dem Projekt höchste Priorität gegeben. Dies führte zur Entwicklung des nach dem Chefphysiker benannten "van Horn" Werkes (US Patent Nr. 2.888.797, eingereicht am 12.02.1954).


So machte Hamilton die erste elektrische Armbanduhr bekannt

Bericht über die Pressevorstellung am 3.1.1957, zitiert nach [Flume1957/2].

Gestern zeigte die Hamilton Watch Co. den Reportern triumphierend die Uhr, welche sie "Erste elektrische Armbanduhr der Weilt" nennen. Diese Uhr wurde gestern in den Verkauf gegeben in verschiedenen Städten in den USA zum Ladenpreis von 175 Dollar.

Laut Hamilton ist dies seit 500 Jahren, seit Peter Henlein die Zugfeder erfand, die erste einschneidende Änderung der Kleinuhr. Hamilton hat die Zugfeder entbehrlich gemacht. >>> weiter

Feststellungen zur neuen elektrischen Armbanduhr

Nach Aussagen offizieller schweizerischer Uhrenkreise darf das Ereignis nicht zu hoch bewertet werden, denn bereits 1953 waren von den Fabriken Lip und Elgin ähnliche Versuche unter dem Namen "elektronische Uhr" bekanntgegeben worden. Diese besagten umwälzenden Neukonstruktionen, die mit Elektronik nichts gemeinsam hatten als den Namen, sind aber im Versuchsstadium stecken geblieben. >>> weiter


Diese Nachricht muss wie eine Bombe eingeschlagen sein. Der zwei Wochen später veranstaltete Erfahrungsaustausch der Firma Flume in Essen, zeigt die ganze Aufregung...


Flume ErfahrungsaustaschDie Uhr von morgen

13. Wissenschaftlich-praktischer Erfahrungsaustausch am 20.1.1957 in Essen

Im Rahmen der Diskussion sagte Herr Hummel, Inhaber der Firmen LACO und DUROWE, Pforzheim, u. a. folgendes: "Sie haben mich zu einem Thema angesprochen, das tatsächlich so aktuell ist, wie noch keines zuvor. Ich glaube, nicht zu viel zu sagen, daß wir heute hier eine historische Versammlung haben."

Und so war es auch tatsächlich, als nahezu 1000 Uhrmacher aus Deutschland und dem benachbarten Ausland gespannt den hochaktuellen Vorträgen im FLUME-Haus Essen lauschten. >>> weiter


In den ersten Monaten nach der Vorstellung gab es viele Probleme mit der Uhr. Die Hälfte wurde zur Reparatur in die Fabrik zurückgesandt. Offensichtlich hatte man die Einführung doch etwas überhastet vorgenommen, wahrscheinlich aus Angst, Elgin und Lip könnten ihnen zuvor kommen. Trotzdem war die Hamilton war ein Verkaufsschlager (42000 Stück bis 1965), nicht zuletzt wegen ihres aufsehenerregenden, futuristischen Designs von Richard Arbib. [Doensen1994]


Und wie reagierte die Schweizer Uhrenindustrie auf diese Nachricht?

Was ist aus der elektrischen Armbanduhr geworden?

... Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die elektrische Uhr bis heute nicht jene Glanzrolle zu spielen Gelegenheit hatte, die ihre Paten ihr 1952 zugedacht haben. Ihre Zukunft würde sich wohl erfolgreicher gestalten, wenn es gelänge, technische und kommerzielle Unzulänglichkeiten zu beseitigen, die dem Erfolg heute noch im Wege stehen. >>> weiter


Für viele überraschend, stelle kurze Zeit später Epperlein seine elektrische Uhr vor. Es handelte sich zuerst um eine Lizenzproduktion der Hamilton 500, zu deren Entwicklung die Firma bzw. deren Inhaber Helmut Epperlein einige Patente beigesteuert hatte. Ab 1959 wurde dann ein eigenes Werk produziert, welches aber auch viele Probleme mit sich brachte. Es wurden ungefähr 5000 Stück produziert, von denen aber 30%  zur Firma zurückgingen und zerstört wurden. [Doensen1994]


Neue Uhrmacher-Zeitung 1958/12 ERFÜLLUNG eines Wunschtraumes: Die Elektrik-Armbanduhr ist da!

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1958/12

In aller Stille entwickelte das Uhren=Werk=Ersingen eine elektrisch betriebene Herrenarmbanduhr von größter Ganggenauigkeit.

Die elektrisch betriebene Armbanduhr ist ein alter Wunschtraum und an ihrer Funktion wird im In= und Ausland seit vielen Jahren laboriert. Der elektrischen Armbanduhr ist die Aufgabe gestellt, durch größte Vereinfachung aller Funktionswerte dem Bedarfsträger zu dienen und auch in den äußeren Formen ein ansehnliches Gebilde zu bleiben. Jahrelange Versuchs- und Forschungsarbeiten des Uhren=Werks=Ersingen, Inhaber Helmut Epperlein, führten in Zusammenarbeit mit weiteren Firmen zur Konstruktion einer elektrisch betriebenen Armbanduhr, ... >>> weiter


Am 9. Dezember 1958 kam dann auch die 1952 angekündigte LIP "Electronic" in den Verkauf. Die jetzt gezeigte Uhr hatte nur wenig Ähnlichkeit mit der seinerzeit vorgestellten. Das Problem des mangelnden Wirkungsgrades des Antriebs löste man einfach dadurch, dass man zwei Batterien ins Gehäuse einbaute. Zwischenzeitlich hatte man bei Lip aber auch ein Patent zu einer Uhr mit Transistorsteuerung angemeldet, welches die gleiche Antriebseinheit (Anordnung der Elektromagneten, Form des weichmagnetischen Ankers auf der Unruh) verwendete. Vielleicht kam daher die irrige Meinung, es handelte sich bei der ersten Lip "Electronic" tatsächlich um eine elektronische Uhr.


LIP R72 Die "Electronic" von Lip ist jetzt im Verkauf

Die elektrische Armbanduhr des französischen Uhrenfabrikanten Lip ist nun endgültig Tatsache geworden. Seit dem 9. Dezember 1958 befindet sich die "Electronic" im Verkauf bei allen Konzessionären der Marke Lip. ...

...Eigenschaften: Elektronischer Unterhalt des Drehmomentes der Spiralunruh durch Transistor (Lizenz Ato) keinerlei elektrischer Kontakt. ... >>> weiter


Fünf Jahre nach dem Verkauf der ersten elektrischen Armbanduhr, war die Diskussion um den Sinn oder Unsinn dieser Technik immer noch in vollem Gange.

Einige Reaktionen aus den Erfahrungsaustauschen der Firma Flume mögen dies verdeutlichen. >>> weiter

Prof. Dr. R. Straumann: ..Wie eine ansteckende Krankheit, hat sich vor einigen Jahren die Elektronicuhr-Psychose mit unglaublicher Geschwindigkeit und Schlagkraft über die Uhrmacherwelt verbreitet, ... >>> weiter

Prof. Dipl.-Ing. L. Lehotzky: ...Selbstverständlich muß sich jeder fortschrittlich denkende Uhrmacher mit der elektrischen Armbanduhr beschäftigen. Er muß sich selbst ein Urteil über ihre Ganggenauigkeiten bilden... >>> weiter

Dipl. Ing. R. Charrier: ...Die elektrischen Kleinuhren jedoch scheinen mir vorläufig mehr Sache der Liebhaber zu sein, als daß sie eine echte technische Verbesserung wären, ... >>> weiter

Fritz Geffke: ...Die elektrische Armbanduhr mit Unruh wird deshalb nach unserer Meinung in den kommenden Jahren ihres Reifungsprozesses keine nennenswerte Konkurrenz für die mechanische Uhr sein. ... >>> weiter


Bis zum Jahr 1962 gab es bereits eine größere Anzahl von Werken, die von verschiedenen Herstellern auf den Markt gebracht wurden. Ein Teil dieser Werke war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder aus dem Verkehr gezogen worden.

Neben den bereits erwähnten Firmen Lip, Elgin, Hamilton und Epperlein hatte auch die schweizer Uhrenindustrie ihr erstes Werk (Landeron 4750) herausgebracht Das war ganz im Gegensatz zu den früher gemachten Äußerungen, man würde nur eine "elektronische" Uhr entwickeln. Diese kam erst später (ESA 9150, 1967-68) und wurde dann auch tatsächlich ein großer Erfolg. Die deutsch/amerikanische Firma Laco (Timex) produzierte ab 1962 das Kaliber 861. Junghans hatte bereits ein elektronisches Werk in der Entwicklung (J100), welches aber erst 1963 in einer solarbetriebenen Tischuhr verkauft wurde. Als Armbanduhr gab es das weiterentwickelte Werk (W600) ab 1967, ebenfalls ein großer Erfolg.

!960 erschien allerdings als erste elektronische Uhr, die Bulova Accutron. Dies war eine wirkliche Revolution, da sie neben dem Transistor auch erstmalig eine Stimmgabel als Gangregler enthielt.

Werkliste 1962

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