Die elektrische Armbanduhr,
eine französische und amerikanische Erfindung

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/8

Wer die Priorität für die Erfindung der mit einer Trockenbatterie betriebenen Armbanduhr beanspruchen kann, ist eine schwierige Frage; denn sie wurde offenbar fast gleichzeitig von der französischen Uhrenfabrik Société des Montres Lip und von der amerikanischen Uhrenfabrik Elgin National Watch Company zum ersten Male gezeigt. Allerdings wird von letzterer zugegeben, daß sie die Pläne und Forschungsarbeiten der französischen Firma dazu benutzt hat. Die eigentlichen Vorarbeiten liegen bereits drei Jahre zurück, doch wurden schon vor zwei und drei Jahrzehnten Versuche gemacht, eine geeignete Stromquelle von entsprechender Leistung und zugleich geringster Größe zu schaffen, die einen winzigen Elektromotor von ausreichender Stoßfestigkeit betreiben kann. Das ist nun drei jungen französischen Wissenschaftlern, den Mitarbeitern der Société des Montres Lip in gemeinsamer mühevoller Arbeit tatsächlich gelungen, obwohl das Problem jahrzehntelang als unlösbar galt.

Der eigentliche Urheber des Gedankens ist der Elektroingenieur Paul Dargier de Saint-Vaulry. Er kam darauf, als er an den elektrischen Wicklungen von Raketengeschossen während des letzten Krieges beschäftigt war. An der Weiterentwicklung nahmen der Röhrentechniker Jean Laviolette und der Chemiker Jean Rolland teil. Die größte Schwierigkeit der technischen Konstruktion war das Berechnen und Entwickeln des winzigen Motors und der Wicklungen mit ihrer verhältnismäßig hohen Induktion. Diese liefert anstatt der Stahlfederspirale in Armbanduhren üblicher Bauart die mechanische Energie für die Unruh. Dazu waren komplizierte theoretische Berechnungen und zeitraubende praktische Vorversuche notwendig. Der Motor ist bei den heute vorliegenden Musteruhren etwa halb so groß wie ein Kragenknopf, enthält aber in seinen beiden Wicklungen isolierten Kupferdraht von etwa 3000 in Länge und in der Stärke von 10 Mikron (0,01 mm), was dem sechsten Teil eines menschlichen Haares entspricht. Die auf der Entdeckung des italienischen Physikers Graf Alessandro Volta (1745-1827) beruhende Batterie ist eine sog. Voltasche Säule von einer unwahrscheinlich geringen Größe; denn sie hat den Durchmesser eines normalen Kragenknopfes, ist aber etwas stärker und wiegt betriebsfertig ganze 1,8 g.

Große Schwierigkeiten bereitete auch die Frequenz, die Dauer und die Kontaktgebung. Nach den theoretischen Berechnungen währt jeder Stromstoß nur etwa 1/l000 Sekunde, doch erfolgen während eines Jahres ungefähr 10 000 000 Stromstöße, bei denen die Kontakte einwandfrei funktionieren müssen und bei denen keine Zunahme des elektrischen Widerstandes eintreten darf; denn das hätte sofort einen unregelmäßigen Gang der Uhr zur Folge.

Die in Paris gezeigte elektrische Armbanduhr unterschied sich äußerlich von einer anderen mit Gangwerk nur dadurch, daß sie kein Kronrad zum Aufziehen hat, also praktisch luftdicht abgeschlossen ist. Die Batterie liefert nach Angabe der Konstrukteure den nötigen Strom für die Dauer von sogar zwei Jahren, während das amerikanische Versuchsmodell anscheinend nur ein Jahr damit läuft! Die in Paris vorgeführte Uhr wird mit der gleichen Batterie schon seit nahezu drei Jahren betrieben.

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