Reaktionen

Hier einige Ausschnitte aus Vorträgen, die anlässlich diverser, von der Firma Flume veranstalteter Erfahrungsaustausche gehalten wurden. Zitiert nach "die information 2" [Flume1964].

Die Einschätzung der elektrischen Uhr ist eher kritisch bis ablehnend. Allenfalls wird der elektronischen oder Stimmgabeluhr noch eine Chance eingeräumt. Doch die "lange Zeit" des Vorrangs der mechanischen gegenüber der elektrischen oder elektronischen Uhr dauerte noch genau 10 Jahre. Denn spätestens mit Erscheinen der Quarzuhren war es mit dieser Vorherschafft entgültig vorbei.

24. Erfa 13.5.1962, Essen

Automatische Uhren haben Vorrang

Professor Dr. Reinhard Straumann, Waldenburg, Schweiz

Anzeige 1970...Wie eine ansteckende Krankheit, hat sich vor einigen Jahren die Elektronicuhr-Psychose mit unglaublicher Geschwindigkeit und Schlagkraft über die Uhrmacherwelt verbreitet, Verwirrung angestiftet und das Zutrauen in die mechanische Uhr geschwächt. Eine gleichzeitig getätigte, übertriebene Reklame, die voller Unwahrheiten war, hat ängstliche Köpfe noch weiter vernebelt. Viele Fachleute, vom Uhrmacher über den Grossisten zum Fabrikanten, glaubten, es sei eine neue Aera angebrochen, die der elektrischen oder der elektronischen Armbanduhr. Sie glaubten und viele Unbelehrbare glauben es heute noch, die Aera der mechanischen Uhr sei dem Zusammenbruch nahe.

Diese Gedankenwelt wurde mir offenbart durch viele Anfragen, die im Verlauf der letzten Jahre an mich gelangt sind. Von allem Anfang an war ich der Überzeugung, daß mit den heute zur Verfügung stehenden elektronischen Elementen keine brauchbare, preiswerte Armbanduhr hergestellt werden kann, besonders nicht im Hinblick auf eine annehmbare Betriebssicherheit. Dieser Auffassung sind auch bekannte Elektronik-Spezialisten. Alle bisherigen, mit der elektrischen Armbanduhr gemachten Erfahrungen haben diese Auffassung bestätigt. Eine nach der anderen dieser Uhren ist gekommen, um bald wieder zu verschwinden. Befreundete Uhrengrossisten haben mich vor einiger Zeit gefragt, ob sie es riskieren dürfen sich mit je 30000,- Fr. an der Entwicklung und Fabrikation einer elektrischen Armbanduhr zu beteiligen. Ich riet ihnen entschieden davon ab, sie haben es dennoch riskiert und dabei ihre 30000,- Fr. verloren. ...

... Es ist interessant festzustellen, daß das Publikum trotz intensiver Reklame die Begeisterung für die elektrische Uhr nicht mitgemacht hat. Der Inhaber eines großen Uhrengeschäftes in Zürich hat mir erklärt, er habe von allen, bisher auf dem Markt erschienenen elektrischen Armbanduhren je einige Stück gekauft. Es sei ihm aber nicht gelungen, auch nur eine dieser Uhren zu verkaufen. Das Publikum scheint in dieser Sache vernünftiger zu sein als Produzenten und Händler. Anläßlich der Fertigung der elektrischen Uhr für die USA-Firma haben wir festgehalten, daß der Herstellungspreis dieser elektrischen Uhr ziemlich genau doppelt so hoch war, wie der Herstellungspreis einer guten Automatik-Uhr, die in derselben Fabrik gefertigt wird. Es ist dies eine interessante Feststellung. Trotz der katastrophalen Erfahrungen gehen auch heute noch Millionenwerte in der Entwicklung der elektrischen Armbanduhr verloren. Ich glaube, daß dieses Geld besser verwendet wäre, wenn es an geeigneter Stelle für Forschungsaufträge zur Verbesserung der Gangqualität der mechanischen Uhr eingesetzt würde. Eine auf viele Jahrzehnte zurückgehende Erfahrung lehrt, daß, wenn ein technisches Problem sowohl mechanisch als auch elektrisch gelöst werden kann, die mechanische Lösung immer die bessere ist. Dies trifft auch bei der Armbanduhr zu. Die bisherige Erfahrung mit der elektrischen Uhr hat es ja auch bestätigt. Es ist einfach unbegreiflich, daß stur auf die schlechtere Lösung zugesteuert wird. Verzeihen Sie, daß ich mich so eingehend mit der elektronischen Uhr befaßt habe. Ich glaube aber es der wertvollen automatischen Uhr schuldig zu sein, den Rummel um die elektrische Uhr zu entschleiern und zu zeigen, was er in Wirklichkeit ist. Ich schließe die Möglichkeit nicht aus, daß mit der Zeit eine brauchbare, elektronische Armbanduhr entwickelt werden könnte. Diese Aufgabe kann aber so lange nicht befriedigend gelöst werden, so lange die notwendigen elektronischen Elemente die Anforderungen, die eine elektronische Armbanduhr stellt, nicht zu erfüllen vermögen und so lange einige, mit diesem Problem verbundene grundlegende Fragen nicht gelöst sind....

23. Erfa 8.4.1962, München

Elektrik oder Automatik in der Armbanduhr

Prof. Dipl.-Ing. L.Lehotzky
Direktor der Österreichischen Bundesfachschule, Karlstein/Thaya

...Zum Abschluß meiner Ausführungen will ich die Frage aufwerfen: Soll sich das Uhrenfachgeschäft nun ganz auf die neuen, elektrischen Armbanduhren werfen, und jeden Kunden davon zu überzeugen versuchen, daß für eine Neuanschaffung nur eine elektrische Armbanduhr in Frage kommt, oder soll es umgekehrt vor der elektrischen Armbanduhr warnen und die Automatik-Uhr als einzig richtige Lösung propagieren? Die Antwort ist einfach: "weder - noch!" Selbstverständlich muß sich jeder fortschrittlich denkende Uhrmacher mit der elektrischen Armbanduhr beschäftigen. Er muß sich selbst ein Urteil über ihre Ganggenauigkeiten bilden und sich eingehend mit dem Service und mit der Reparatur elektrischer Armbanduhren vertraut machen. Und wenn ein Kunde kommt, der auf technische Neuerungen erpicht ist, so muß ihm unbedingt die gewünschte elektrische Armbanduhr verkauft werden. Denn ein solcher Kunde ist auf Grund seiner Erfahrungen mit anderen technischen Neuheiten ohne weiteres bereit, sich durch den von ihm erlegten Kaufpreis an der Weiterentwicklung dieser Neuheit zu beteiligen. Wenn es aber dem Kunden darauf ankommt, eine Uhr zu erwerben, für deren jahrelanges, klagloses Funktionieren der Uhrmacher als Fachmann die Bürgschaft übernehmen soll, so wird wohl noch auf Jahre hinaus der verantwortungsbewußte Fachmann die altbewährte mechanische Uhr mit automatischem Aufzug empfehlen müssen....

22. Erfa 14.1.1962, Essen

Entwicklung elektrischer Uhren und ihre Zukunftsaussichten

Dipl.Ing. R.Charrier
Versuchslabor der KIENZLE-Uhrenfabriken AG, Schwenningen-Neckar

...Doch nun zu der Lage bei den Kleinuhren. Hier stellt sich als erstes einmal die Frage, ob für die elektrische Kleinuhr überhaupt ein Bedürfnis vorhanden ist, oder anders formuliert, ob die elektrische Kleinuhr gegenüber der mechanischen Kleinuhr effektive technische Vorteile bringen kann.

Wir haben heute bei der Kleinuhr den Schwungmassenaufzug, der uns praktisch eine dauernd laufende Uhr und auch eine weitgehend konstante Kraft liefert. Auch wurden bei der mechanischen Uhr in nun über 5Ojähriger Forscherarbeit wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet, die es erlauben, Kleinuhren mit sehr hoher Ganggenauigkeit zu fertigen. Nach Meinung maßgeblicher Uhrenfachleute gibt es bei der normalen mechanischen Kleinuhr und insbesondere bei der schwungmassenaufgezogenen Kleinuhr noch so viele Möglichkeiten der Verbesserung, so daß sie noch ein weites Entwicklungsfeld vor sich hat. Diese Tatsache macht es der elektrischen Kleinuhr sicher schwer, hier in der Relation zwischen Qualität und Preis Schritt zu halten.

Auch von deutschen Firmen wurde schon verschiedentlich versucht, den Transistorantrieb bei Kleinuhren zu verwirklichen. Es gab schon sehr viele Ankündigungen darüber, jedoch wenig Serien, die tatsächlich störungsfrei durchgelaufen sind und die Feuerprobe der Praxis bestanden hätten. Dennoch geht die Entwicklung selbstverständlich weiter, und es ist durchaus möglich, daß auch bei Kleinuhren transistorbetriebene Schwingsysteme zum Zuge kommen werden. Entscheidend bleibt aber - und das ist wichtig, festzustellen - die Bewährung in der Praxis.

Eine der Zukunftsaussichten wird es sein, daß sich eines Tages die sog. Schnellschwinger, wie z. B. Stimmgabeln, mehr und mehr in den Vordergrund schieben werden, da deren Schwingungen durch einen Transistor gut unterhalten werden können und hier eine Möglichkeit gegeben ist, von dem uns alle beschäftigenden leidigen Ölproblem wegzukommen.

Zu den Erwartungen kann man zusammenfassend sagen, daß sich bei Großuhren, bei denen heute die indirekt angetriebenen Uhren mit Kontakt vorherrschen, der direkte Transistorantrieb eines Tages mehr und mehr durchsetzen wird. Die elektrischen Kleinuhren jedoch scheinen mir vorläufig mehr Sache der Liebhaber zu sein, als daß sie eine echte technische Verbesserung wären, die in der Lage sein könnten, die Struktur der Gesamtproduktion an Kleinuhren quantitativ maßgeblich zu verschieben oder zu beeinflussen. Auch die Uhr der Zukunft wird hauptsächlich mechanischen Charakters sein, selbst wenn mehr und mehr elektronische Bauteile verwendet werden. Das Gebiet der Feinmechanik wird immer von größtem Einfluß für die Uhr sein - nach wie vor wird der Uhrmacher und damit der Fachhandel auch bei den elektrischen Uhren dringend benötigt werden. Voraussetzung dabei ist allerdings, daß der Uhrmacher und der Fachhandel sich den Fortschritten auf diesen Gebieten nicht verschließen.

21. Erfa 7.5.1961, Nürnberg

Elektrische Großuhren und Kleinuhren - heute und morgen

Fritz Geffke
Prokurist der Entwicklungsabteilung, Rudolf Flume, Berlin

... Als besonderen Vorteil aber hat die elektrische Armbanduhr den Reiz des Neuen für sich. Viele technisch interessierte Kunden werden diese Uhr bevorzugen, nur weil sie Wert darauf legen, ein solches technisches Wunderwerk zu besitzen.

Doch wie jede technische Neuheit, so hat auch die elektrische Armbanduhr nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Kinderkrankheiten in der Entwicklung sind unvermeidlich, so auch hier. Der größte Fehler bei der elektrischen Armbanduhr war der verfrühte Start der Propaganda. Das führt dazu, daß einige Konstruktionen noch nicht über genügend lange Zeit erprobt waren. Mittlerweile ist es allen Beteiligten klargeworden, daß es besser gewesen wäre, zunächst die technischen Mängel zu überwinden, um dann mit einem ausgereiften Produkt auf dem Markt zu erscheinen. Durch dieses Mißgeschick ist inzwischen der Reiz des Neuen zum Teil verlorengegangen und auch die Kunden werden die elektrische Armbanduhr in einigen Jahren, wenn sie auf den Markt kommt, wesentlich nüchterner betrachten, als es vor Jahren der Fall gewesen wäre. ...

... Es besteht heute kein Grund für eine Verschiebung der Produktion zu Gunsten der elektrischen Armbanduhr mit Unruh. Das wird sich erst dann ändern, wenn die elektrische Armbanduhr in der Gangleistung, in der Zuverlässigkeit und vor allem im Preis der mechanischen Uhr gleichkommt und diese überbietet. Wir sehen einstweilen keine Gefahr für die mechanische Uhr. Im Gegenteil, wir sind der Ansicht, daß die mechanische Armbanduhr neben den allmählich auf dem Markt erscheinenden elektrischen Armbanduhren noch sehr lange Zeit an erster Stelle stehen wird.

Die elektrische Armbanduhr mit Unruh wird deshalb nach unserer Meinung in den kommenden Jahren ihres Reifungsprozesses keine nennenswerte Konkurrenz für die mechanische Uhr sein. Sie wird einstweilen eine Liebhaberei für einen gewissen Personenkreis bleiben, der Freude an neuen technischen Dingen hat. Es wird aber eine Liebhaberei sein, die, auf längere Zeit gesehen, dem Besitzer der Uhr wahrscheinlich nicht nur Freude bereiten wird.

Doch die Entwicklung schreitet weiter!

Am 25. Oktober 1960 stellte die Firma Bulova in Amerika der Welt die neue elektronische Armbanduhr "Accutron" vor. Diese Uhr hat keine Unruh, sondern eine "Stimmgabel" als Gangregler. Die Stimmgabel wird auf elektronischem Wege, ohne mechanischen Kontakt, durch eine Transistor-Schaltung in Gang gehalten. ...

(TOP)