Die elektrische Kleinuhr

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/11

Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/11 Die nachfolgenden Ausführungen, die wir mit freundlicher Genehmigung des Verlages der Schweizer Uhr entnahmen, halten wir für interessant und für aufschlußreich genug, um unsere Leser an hervorragender Stelle darauf aufmerksam zu machen
(Die Schriftleitung)

Wir sind heute in der Lage, einem Mitarbeiter in den USA das Wort zu geben, der zusammenfassend darüber berichtet, was von der Elgin National Watch Co. - am gleichen Tage, an dem auch die Firma Lip ihre sensationell aufgezogenen und wirkenden Mitteilungen machte - über die elektrische Kleinuhr bekanntgegeben wurde. Die Sache scheint uns doch so wichtig zu sein, um auch durch die "Stimme Amerikas" gehört zu werden, wenn wir auch noch keineswegs davon überzeugt sind, daß die neue Uhr als eine der wichtigsten Erfindungen in der Uhrenindustrie "seit mehreren hundert Jahren" zu betrachten ist, wie drüben behauptet wird.

Unser Mitarbeiter schreibt einleitend ebenfalls von der Erfindung als von einer "elektronischen" Uhr, was sie bekanntlich nicht ist, wird sie doch von einem durch eine Batterie angetriebenen Miniaturmotor in Gang gehalten. Die Trockenbatterie liegt in einer kleinen Kapsel, die als "Energiekapsel" bezeichnet wird. Und nun lesen wir, was dieser berichtet:

Miniatur-Motor

Die kleine Energiekapsel versorgt einen Miniaturmotor von 1,75 Millionstel PS mit Kraft. Es handelt sich hier um die Anwendung mikro-elektronischer Prinzipien: Motor und Energiekapsel sind wohl die kleinsten derartigen Einheiten, die jemals hergestellt wurden. Es wurde berechnet, daß diese neuartige Armbanduhr außerordentlich weniger Kraft als Antrieb bedarf, - in der Tat so wenig, daß 10 Millionen derartiger Uhren von der elektrischen Kraft gespeist werden können, die von einer einzelnen 100-Watt-Glühbirne konsumiert wird.

J.G. Shennan, der Präsident der Elgin National Watch Co., führte in einem Vortrag aus, während den Forschungsarbeiten seiner Gesellschaft auf diesem Gebiet sei festgestellt worden, daß die Lip Watch Company in Besançon ebenfalls an dem Problem arbeite. Die beiden Gesellschaften haben daraufhin ihre Erfahrungen ausgetauscht, die Untersuchungen jedoch gesondert weitergeführt. Das französische Modell unterscheidet sich denn auch in mancher mechanischen und elektrischen Beziehung von der amerikanischen Fassung.

Es läßt sich noch nicht feststellen, wann eine mengenmäßige Ausführung der neuartigen Uhr möglich sein wird. Mr. Shennan sprach ziemlich vage von "ein paar Jahren", die vergehen würden, ehe die Uhr marktbereit sei. Es sind noch zahlreiche Untersuchungen nötig, ehe alle Aspekte der neuen Uhr in theoretischer und praktischer Hinsicht geklärt sind. Auch sind neuartige Herstellungstechniken in der Entwicklung, die den neuartigen Materialien, wie sie in der Uhr verwandt werden, am besten gerecht werden.

Auch über den etwaigen Preis der Uhr konnte noch nichts mitgeteilt werden. Es wurde angeführt, daß die Konstruktion der neuen elektrischen Armbanduhr einfacher sei als die der konventionell hergestellten Uhren. Aber trotzdem machen die Fabrikationsprobleme noch erhebliche Schwierigkeiten, und einige Jahre müßten vergehen, ehe die neuartige Uhr zum gleichen Preis hergestellt werden könnte wie die heute übliche Armbanduhr.

Neue magnetische Legierungen und halbmagnetische Materialien spielen bei der Ausarbeitung eine Rolle. Das grundlegende Problem war, die Prinzipien der elektronischen Zeitmessung auf mikroskopisch kleine Teile zu übertragen. Zuerst wurde das Problem der Taschenuhr behandelt, was relativ einfach war, und von da wurde zur Armbanduhr weitergegangen.

Kleiner als ein Penny

Die Energiekapsel, die kleiner ist' als ein Penny, gibt genug Energie ab, um die Uhr mehr als ein Jahr lang laufen zu lassen. Der Motor, der von der Kapsel getrieben wird, ersetzt die Feder und die damit verbundenen Teile. Es ist kein Mechanismus zum Aufziehen der Uhr mehr vorhanden.

Eines der schwierigsten Unterprobleme bei der Konstruktion war die Ausarbeitung von elektrischen Spulen, eines Hauptbestandteiles des Motors. Diese Spulen für die Armbanduhr sind von mikroskopischer Größe; sie haben einen Durchmesser von etwa 0,3 cm und eine Länge von 0,08 cm. Sie sind umwunden mit 3000 Windungen von isoliertem Kupferdraht, dessen Dicke dem sechsten Teil der Dicke des menschlichen Haares entspricht.

Die sonst bei der Uhrenherstellung angewandten physikalischen und chemischen Grundgesetze erwiesen sich bei diesen mikroskopisch kleine Dimensionen als unanwendbar. Es mußten neue Konstruktionswege gegangen werden.

Optimistische Sachverständige rechnen damit, daß das neue Verfahren eines Tages die Spiralfeder gänzlich ersetzen wird.

Es wurde noch die Frage erörtert, warum nicht Silber für Umwindung der Spulen benützt wurde, doch Silber ist zu weich für diesen Zweck. Bei den jetzigen Spulen handelt es sich wohl um den feinsten Draht, der jemals für solche Zwecke zur Anwendung gelangte. Er ist so seidig und fein, daß er vom bloßen Auge nicht wahrnehmbar ist, außer wenn ein Lichtreflex sich darauf spiegelt. Wenn man 1 Pfund dieses Drahtes aufwinden würde, so würde das eine Länge von 240 Meilen ergeben.

Die "elektronische" Armbanduhr der Firma Elgin
Die "elektronische" Armbanduhr der Firma Elgin. Daneben die elektrische Spule mit 3000 Windungen umwickelten Kupferdrahts.
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