Die Uhr von morgen

13. Wissenschaftlich-praktischer Erfahrungsaustausch am 20.1.1957 in Essen

ERFA 1957 Im Rahmen der Diskussion sagte Herr Hummel, Inhaber der Firmen LACO und DUROWE, Pforzheim, u. a. folgendes: "Sie haben mich zu einem Thema angesprochen, das tatsächlich so aktuell ist, wie noch keines zuvor. Ich glaube, nicht zu viel zu sagen, daß wir heute hier eine historische Versammlung haben."

Und so war es auch tatsächlich, als nahezu 1000 Uhrmacher aus Deutschland und dem benachbarten Ausland gespannt den hochaktuellen Vorträgen im FLUME-Haus Essen lauschten.

Herr Professor Dr. Keil referierte über die möglichen Entwicklungen der mechanischen Uhr unter besonderer Berücksichtigung der automatischen Armbanduhr, und Herr Ing. Harri von der Generaldirektion des Ebauches-Konzerns in der Schweiz gab über die elektrische Kleinuhr interessante Einzelheiten bekannt. Er zeigte auch einen Prototyp einer elektrischen Armbanduhr, um damit zu beweisen, daß man jetzt nicht mehr einem Phantom nachjage, sondern daß die Uhr tatsächlich auf einer neuen Entwicklungsstufe angekommen ist.

Die mögliche Entwicklung der mechanischen Uhr

Prof. Dr. Wilhelm Keil, Technische Hochschule Stuttgart

Die Kleinuhr

Hinsichtlich der mechanischen Kleinuhr, die heute nur noch zu etwa 5% als Taschenuhr, zu rd. 95% aber als Armbanduhr erzeugt wird - eine Wandlung, die sich in noch nicht 40 Jahren vollzogen hat - sind im Vergleich zur Großuhr viel mehr technische Änderungen, vor allem auch Verbesserungen der Leistungen der Uhr selbst, aber auch ihrer Fertigung zu erwarten.

Das Problem der elektrischen Armbanduhr

Zwar ist das Problem der sogenannten "elektronischen" Armbanduhr dem Zuge der Zeit entsprechend, der meint, jedes technische Problem am besten mit elektronischen Mitteln lösen zu können, an zahlreichen Stellen ernsthaft und gründlich studiert worden. Das Wort: "elektronisch" hat besonders Nichttechniker geradezu fasziniert! Es mögen auch aus diesem Grunde für Studien und Entwicklungsarbeiten an der "elektronischen" Armbanduhr, die auch das besondere Interesse der elektrotechnischen Industrie der alten und der neuen Welt beansprucht, Mittel aufgewendet worden sein, deren Umfang 7-stellige Zahlen in DM betragen mag. Trotz alledem konnte aber die Aufgabe, eine Armbanduhr, in der mit elektrischen und insbesondere mit elektronischen Mitteln die Zugfeder als Arbeitsspeicher der Uhr ersetzt werden sollte, bisher weder technisch noch wirtschaftlich befriedigend gelöst werden. Eines der entscheidenden Hindernisse ist der größere Raumbedarf der Uhr, wenn sie mehrere Jahre ohne Ersatz des Arbeitsspeichers in Betrieb bleiben soll. Es wird sich keine Armbanduhr einbürgern können, die von der gewohnten niedrigen Bauhöhe abgehen muß, höchstens bei unterentwickelten Völkern. Der Optimismus, der noch vor wenigen Jahren der elektronischen Armbanduhr eine große Zukunft versprach, ist mit dem Eindringen in den Komplex der Probleme, die sie aufwirft, wenn sie praktisch verwirklicht werden soll, einer sehr realen, nüchternen, d. h. skeptischen Beurteilung gewichen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß heute weiter an dem Problem gearbeitet wird und insbesondere die Frage untersucht wird, wie weit aktive Substanzen, Isotope, die bei der Erschließung der Atomenergie anfallen, als jahrelang brauchbare Energiequellen zum Betrieb der Uhr herangezogen werden können. Aus diesem Aspekt heraus darf nicht übersehen werden, daß dann ganz andere Schwierigkeiten auftauchen, die von der medizinischen Seite aus gesehen nicht als unbedenklich eingeschätzt werden dürfen.

Die Phantasie, der der Gedanke der "elektronischen" Uhr entsprang, ist zu begrüßen, wenn sie auch grundsätzliche Schwierigkeiten bisher zu gering bewertet hat. Jeder Techniker wird, bevor er einen ganz neuen Weg beschreitet, ein technisch schon einmal und auch gut gelöstes Proben mit neuen Prinzipien anzugehen, heute erst kritisch prüfen, ob die neue Lösung, die er versucht, die Mängel der alten nicht nur auf eine andere Ebene verlagert, auf der sie weniger zu beherrschen sind, als auf der der Lösung. Hinsichtlich der "elektronischen Armbanduhr" ist diese kritische Vorarbeit noch nicht zu Ende geführt worden.

Solange man auf das mechanische Schwingsystem als zeitmessendes Organ der Kleinuhr nicht verzichten kann, was nur möglich wäre, wenn man eine "Miniaturquarzuhr" in Taschen- oder Armbanduhrgröße baute, ist die "elektrische" oder "elektronische" Kleinuhr, in der nur die Zugfeder ersetzt wird, kein Fortschritt. ...

Die Forderungen der Uhrmacher an Wissenschaft und Industrie bei der zukünftigen Entwicklung der Uhr

Otto Bados, Uhrmachermeister, München

...Ich beginne mit einer kleinen persönlichen Meinung über die Ausführungen über die elektrische bzw. elektronische Armbanduhr. Wir haben ja schon gehört, solange diese Batterie praktisch nur l Jahr hält und dann vom Fachmann ausgewechselt werden muß, solange diese Batterie 2 Dollar kostet, solange ist die elektrische Uhr für uns ungefährlich. Mag sein, daß da oder dort einmal ein Uhrennarr eine elektrische Uhr begehrt, aber ein ernst zu nehmender Verkaufsartikel wird zunächst die elektrische Uhr wohl noch nicht sein. Das soll aber nicht heißen, daß wir uns jetzt in Sicherheit wiegen wollen, sondern wir müssen auf dem Plan bleiben, denn unsere Zeit ist sehr schnelllebig, und was heute vielleicht richtig ist, kann in 2 Jahren schon vollkommen überholt sein....

Zur Diskussion über die automatische Uhr im Verhältnis zur elektrisch-elektronischen Uhr

...Herr Hummel (Inhaber der Firmen Laco und Durowe) führte dann aus: "Die Anfänge zu der elektrisch-elektronischen Uhr liegen ja nicht erst seit gestern vor, sondern sie sind schon jahrelang in Arbeit. Und wenn vor 14 Tagen in Amerika der Startschuß gegeben wurde für eine elektrische Armbanduhr, dann glaube ich, daß es in Amerika so Mode ist, immer den Startschuß sehr laut zu geben für irgend etwas. Wir hier in Europa sind etwas konservativ, vielleicht langsamer, sind vorsichtiger. Und wenn da auch einmal einer vortritt, dann geht er wieder schön zurück, bis er wieder dran ist. Aber was Herr Prof. Keil heute morgen gesagt hat über die Möglichkeiten der Entwicklung der mechanischen Uhr, so stimme ich ihm restlos zu. Es gibt noch ungeahnte Möglichkeiten, die mechanische Uhr von heute zu vervollkommnen und zwar über den Weg der Teilefertigung. Nur dort ist der Weg, eine Ganggenauigkeit aus einer mechanischen Uhr herauszuholen, die wir vor 2 oder 3 Jahren noch nicht für möglich hielten.

Damit habe ich mit wenigen Worten gesagt, was ich über die Zukunft der mechanischen Uhr im allgemeinen denke, und daß ich glaube, daß wir alle noch lange Jahre damit in erster Linie unser Brot verdienen werden.

An zweiter Stelle steht hier die automatische Armbanduhr zur Diskussion, und wir haben der automatischen Uhr schon vor Jahren eine große Zukunft vorausgesagt. Man hat damals von elektrischen oder elektronischen Uhren noch nicht so laut gesprochen, und trotzdem glaube ich, auch heute wiederholen zu können, daß die automatische Uhr noch sehr lange das Feld beherrschen wird, denn sie steht nach meiner Auffassung erst im Anfang einer wirklichen Entwicklung. Wir haben ja die automatische Uhr erst vor wenigen Jahren in Serienfertigung übernommen, obwohl sie auch seit einem Jahrzehnt und länger bekannt war. Aber die technischen Schwierigkeiten haben es uns verboten, früher damit herauszukommen. Und deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich unumwunden sagen:

Es wird bei jeder Entwicklung einer neuen automatischen Uhr immer wieder Überraschungen geben, es werden auch Fehler kommen, aber auch immer mehr Verbesserungen. Und jetzt komme ich zur elektrisch-elektronischen Uhr, also zu dem neuen Thema des Tages. Wie bei allen neuen Sachen: zuerst Vorsicht. Wir wollen uns nicht die Finger verbrennen. Wir hören uns gerne einmal alles an, aber wir wollen doch langsam treten. Vor 14 Tagen haben wir von Amerika gehört, daß die elektrische Uhr dort propagiert wird und verkäuflich sein soll. Ich bin doch etwas skeptisch, denn ich will erst mal so etwas sehen und auseinandernehmen können, und dann ein Urteil abgeben. Aber Tatsache ist, dieser Fortschritt ist nicht mehr aufzuhalten. Das ist eine Tatsache! Eine Tatsache, um die wir nicht herum kommen. Für Sie, die Sie hier sitzen, bedeutet das, daß Sie doch langsam umlernen müssen von der mechanischen Uhr auf die elektrische Uhr als Elektrotechniker und nicht zuletzt vielleicht auch etwas als Physiker. Und wer alle diese 3 Gebiete zusammenfaßt und zumindest kennt, der wird auch sein Geschäft künftighin genau so führen können und wahrscheinlich noch größer und umfangreicher, wenn er sich die notwendige Mühe gibt.

...Der Unterschied in der elektrischen Uhr und der automatischen liegt nämlich darin, daß die automatische Uhr nach 48 Stunden wieder aufgezogen werden muß. Die elektrische Uhr kann mittels der Batterie l Jahr lang in Gang gehalten werden. Wenn Sie aber dann die Kosten in Betracht ziehen, die Herr Harri uns schon vorgerechnet hat, dann ist die elektrische oder elektronische Uhr auf die Dauer gesehen sehr teuer und vorläufig jedenfalls auch keine Uhr für die breite Masse, sondern bestenfalls für Hobby-Sammler."

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