Die elektronische Armbanduhr

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/18

Neue Uhrmacherzeitung 1952/18 Sowohl bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie als auch anläßlich des diesjährigen Uhrmachertages sind zum ersten Male in Deutschland Vorträge über die elektronische Armbanduhr gehalten worden. Viele deutsche Tageszeitungen haben in Schlagzeilen über diese Erfindung berichtet. Wir geben deshalb im Anschluß die Ausführungen, die Herr Dieudé, Paris, in Hamburg bzw. Frankfurt gegeben hat, wieder. (Die Schriftleitung)

Es ist mir eine besondere Ehre, Sie heute etwas näher mit der "elektronischen" Uhr bekannt zu machen. Diese Uhr ist das Ergebnis langjähriger, eingehender Forschungsarbeit in den Laboratorien unseres Unternehmens in Besançon. Es ist bekannt, daß ähnliche Forschungen in verschiedenen Ländern bereits seit einigen Jahren durchgeführt wurden aber infolge der großen Anzahl der zu lösenden Probleme verliefen sie zumeist erfolglos oder mußten aufgegeben werden. Welches sind die wichtigsten Merkmale dieser elektronischen Uhr?

Es sind dies folgende drei Hauptbestandteile:

Ich möchte hier nicht vom Räderwerk sprechen, welches zwar viel einfacher ist als in den gegenwärtigen Uhren, jedoch keine technische Neuheit darstellt. Darum werde ich mich nur mit den ersten beiden Teilen befassen:

Die Batterie entwickelt eine elektro-motorische Kraft von 1,30 Volt und einen inneren Widerstand von weniger als 100 Ohm; die Triebkraft ist sehr beständig und nimmt höchstens um ein hundertster Volt zwischen dem Anfang und Ende der Entladung ab. Ihre Gesamtleistung entspricht 1000 Coulombs und ermöglicht den Gang der Uhr während mindestens zwei Jahren. Die größten Schwierigkeiten, auf die wir bei der Entwicklung dieser Batterie gestoßen sind, waren ihren äußerst geringen Abmessungen zuzuschreiben. Jedes Element hat nämlich einen Rauminhalt von weniger als 300 mm3 (Kubikmillimeter). Wir benötigten ein Drehmoment, das uns eine konstante elektro-motorische Kraft liefert und dessen Erzeugung gleichzeitig Produkte beanspruchte, deren Dichtigkeit genügend groß ist, um in einem so kleinen Raum untergebracht zu werden.

Außerdem mußte die Batterie unbedingte Undurchlässigkeit gegen Gase und Flüssigkeiten aufweisen, um jede Beschädigung des Uhrwerkes auszuschalten. In allen bisher geläufigen Batterien entstehen während des Betriebes, oder selbst während der Lagerung, Gase, die nach außen entweichen ohne dem allgemeinen Verwendungszweck aber irgendwie zu schaden. Für uns war diese Lösung unmöglich, und wir stießen wiederum auf große Schwierigkeiten, um diese Gasentwicklung zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, machten wir Tausende von Versuchen in unseren Laboratorien; Hunderte von mineral- oder organisch-chemischen Produkten wurden ausprobiert.

Allein die zweckmäßige Gestaltung des Elektrolyts, die Auswahl und Dosierung seiner Bestandteile, nahmen viele Monate in Anspruch. Das Elektrolyt besteht hauptsächlich ans einem Stoff mit hohem Ph-Gehalt, welcher mittels synthetischer Gelatiniermasse verfestigt wird. Verschiedene weitere Spezialprodukte werden dem Elektrolyt beigemengt, um die Ionenbewegung im Inneren der Batterie zu regeln und die Anoden-0xydationsprodukte während des Betriebes in ihrem Lauf innerhalb der Batterie entsprechend zu steuern. Alte diese Produkte befinden sich in einer absolut dichten Hülle, durch welche hindurch die ebenfalls abgedichteten Elektrodenabzweigungen herausgeführt sind. jede Batterie wird auf einwandfreie Abdichtung geprüft. Die erreichte Leistung im Vergleich zum Anodenverbrauch übersteigt 95 Prozent.

Neue Uhrmacher-Zeitung 1952/18

Nun etwas über den Motor: Er besitzt eine Wicklung mit über zehntausend Windungen. Der Durchmesser des Drahtes beträgt ungefähr ein hundertster Millimeter. Der Rotor dieses Motors schwingt hin und her, und dient gleichzeitig als Regulierorgan. Die Anzahl der Schwingungen beträgt 2,5 pro Sekunde, wobei jeweils der Strom während einer ganz kurzen Zeitstrongne, etwa 1/1000 Sekunde, dem Motor zugeführt wird. Natürlich kann beim Schließen und Öffnen dieses Stromkreises keinerlei Verzögerung geduldet werden. Um zu diesem Resultat zu gelangen, waren lange Untersuchungen im Laboratorium über das anzuwendende Kontaktsystem notwendig. Es ergeben sich nämlich in der Uhr ungefähr hundert Millionen Kontaktschließungen pro Jahr; die Kontakteinrichtung muß nach einer so großen Anzahl von Betätigungen noch absolut in neuem Zustand sein, ohne jegliche Korrosion oder Verformung. Vor 20 Jahren galt dieses Problem noch als unlösbar.

Wir nahmen die verschiedenen Arbeiten zur Kenntnis, welche auf diesem Gebiet der Kontakte in England, den Vereinigten Staaten, Frankreich und in Deutschland, vor allem von Adam, Bowden, Holm, Borelius, Meissner, Schottky, Slepian, durchgeführt wurden (um nur diese führenden Fachleute zu nennen); mußten jedoch noch weiter gehen als diese Forschungen, da deren Ergebnisse auf unser Problem keine Anwendung finden konnten, und zwar wegen des äußerst beschränkten Raumes, der uns zum Einbau des Kontaktes zur Verfügung stand, und des zu dessen Betrieb verfügbaren sehr geringen Drehmoments.

Trotz der sehr kleinen Ausmaße kann die Leistung dieses Motors mit derjenigen der bedeutend größeren Industriemotoren verglichen werden. Für dessen Entwicklung haben wir uns die Errungenschaften der Elektronen-Technik weitgehend zunutze gemacht; wir mußten selber Apparate bauen, die auf dem Markt nicht erhältlich waren. Vorgängig all dieser Untersuchungen mußten Berechnungen aufgestellt werden, die uns einen sehr nützlichen Weg bahnten; und es gilt dann, hiervon bei unseren Laboratoriumsarbeiten möglichst wenig abzuweichen. Wir sind uns der Bedeutung der Art und Weise der Durchführung dieser Berechnungen bewußt, welche von den üblichen Berechnungen größerer elektrischer Motoren wesentlich verschieden sind.

Beim Vergleich unserer Ausführung mit zahlreichen ausländischen Patentschriften stellten wir fest, daß diese auf falschen Prinzipien beruhten oder daß ungenügend oder falsche Theorien angewendet wurden.

Zum Schluß dieser Ausführungen sei noch etwas über die Präzision dieser neuartigen Uhr gesagt. Einer unserer Prototypen, bei dem keinerlei besondere Sorgfalt auf die Ausführung oder Regulierung verwendet worden war, hat die Prüfungen des Observatoire National Chronométique in Besancon entsprechend den Anforderungen des Prüfsteins 1. Klasse mit Erfolg bestanden. Diese Uhr, in welcher das Zeigerstellsystem nicht eingebaut war, wurde sowohl vom Observatorium als auch von uns selbst Ende letzten Jahres plombiert. Sie war also seit 8 Monaten unberührt geblieben, und obwohl sie verschiedentlich sehr hohen Temperaturen ausgesetzt war - vor allem in stark beleuchteten bzw. überhitzten Schaukästen - weist sie seither einen Gangunterschied von nur wenigen Sekunden auf.

Auf dem anläßlich dieser Versuche erteilten Prüfschein ist u.a. ein Gangunterschied zwischen waagrechter und senkrechter Lage von nur 0,95 Sekunden vermerkt, wobei zu beachten ist, daß für Armbanduhren ein Nachgehen von unter 10 Sekunden zulässig ist. Diese Genauigkeit wird dadurch erreicht, daß der die Zeiger bewegende Motor selbstregelnd ist; den Änderungen des Schwingungsausschlages bei der gewöhnlichen mechanischen Unruh entsprechen elektro-magnetische Änderungen, welche schließlich den ersteren entgegenwirken. Außerdem werden die Fehler des Isochronismus der Unruh durch neue magnetische Verfahren korrigiert. Vom Standpunkt des Trägers aus gesehen, hat diese Uhr im Vergleich zu anderen - sogar automatischen Uhren - gewisse Vorteile: Zunächst muß sie nicht aufgezogen werden; man braucht sie aber auch nicht am Arm zu tragen, damit sie geht; sie ist genau so unempfindlich gegen lange Unbeweglichkeit wie gegen heftige Bewegungen. Sie ist leichter als die heute bekannten automatischen Uhren. Sie hat eine Gangreserve von annähernd 2 Jahren, wohingegen es heutzutage keine Armbanduhr gibt, deren Gangreserve zwei Tage übersteigt.

Die stromerzeugende Batterie läßt sich viel leichter auswechseln als das Federhaus einer mechanischen Uhr; das Räderwerk wird weniger beansprucht als bei den gewöhnlichen Uhren, da das Drehmoment viel schwächer ist; die Abnützung ist somit viel geringer. Ferner weist sie eine außerordentlich große Beständigkeit des Ganges auf, sowohl im Laufe eines Tages als auch während der verschiedenen Jahreszeiten, da ja die Kraft der Batterie immer gleich bleibt.

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