Spekulationen und Gerüchte

NACH "ELECTRONIC" - "CHIMIC"

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1954/19

In einem in London gehaltenen Vortrag erwähnte Fred Lip, der bekannte französische Uhrenfabrikant, daß gegen 1000 elektrische Armbanduhren Electronic zu Prüfungszwecken in Dienst stehen. Weitere 5000 seien in Arbeit und sollen im Laufe dieses Jahres in den Handel gelangen (NUZ Nr. 4/1953 und Nr. 13/1954).

Er fügte hinzu, dass die Forschungsarbeiten, die zur Verwirklichung der Electronic führten auch auf anderen Gebieten verwendet werden, z. B. in der Gehirnchirurgie.

Schließlich erwähnte Fred Lip, daß die elektrischen Kleinuhren eine wichtige aber wahrscheinlich nicht die letzte Etappe auf dem Gebiet der Zeitmessung seien. In 15 bis 20 Jahren sei die Herstellung von "Chimic"-Uhren, an deren Verwirklichung bereits gearbeitet wird, zu erwarten.

In Erwartung dieser chemischen (?) Uhren, über deren Einzelheiten Lip nichts verlauten ließ, ist jedoch zu erwähnen, daß elektrische Kleinuhren durchaus nicht sein Monopol sind. Vor kurzem gab Ingenieur Marius Lavet, einer der hervorragendsten Sachverständigen und Gelehrten auf dem Gebiet der elektrischen Zeitmessung ein interessantes Interview. Wir geben nachstehend seine Ausführungen für unsere Leser wieder.

Eine wichtige Erfindung

Studien, die auf die praktische Durchführung elektrischer Kleinuhren abzielen, erklärte Ingenieur Lavet, sind im Gang und haben die besten Aussichten auf Erfolg. Doch sollen die ersten Ergebnisse der Öffentlichkeit noch nicht übergeben werden. Ich muß mich daher darauf beschränken, Ihnen nur die Grundlagen zusammenfassend mitzuteilen. Diese ergeben sich aus den Eigenschäften des neuen

Transistors.

aus Germaniumkristallen, mit dessen Herstellung erst jetzt in den USA begonnen wurde, und zwar seitens der bekannten Firma Western Electric. Der Transistor hat gegenwärtig die Form eines kleinen würfelförmigen Stückes (Volumen 0,5 cm'), von dem drei Drähte ausgehen. Er könnte in noch geringerem Umfang hergestellt werden, angesichts der äußerst geringen Kraft, die zum Antrieb einer Uhr erforderlich ist. Die Transistoren haben die Eigenschaften einer Miniatur=Rundfunkröhre, aber ohne Vakuum und Drahterhitzung. Sie arbeiten mit einer sehr hohen Leistung, indem sie 90 Prozent der ihnen zugeführten Energie ausnutzen. Der Transistor spielt die Rolle eines Verstärker=Relais ohne bewegliche Organe und ohne Trägheit oder funkenerzeugenden Kontakt. Mit anderen Worten: wenn man ihm einen Augenblick lang eine sehr schwache elektrische Spannung zuführt, befähigt er eine Batterie, einen Kontaktimpuls in einen Stromkreis einzufahren, der wie ein Elektromagnet wirkt. Die Spannung (oder das Eintrittszeichen, das sozusagen die Ingangsetzung auslöst), kann auf kurze Distanz durch eine elektrische Induktionserscheinung (wie der kleine Strom, den man mittels eines Tonabnehmers oder Magnetophonkopfes entwickelt) erzielt werden. Der Tonabnehmer kann eine kleine Spule ohne materiellen Kontakt mit der schwingenden Unruh sein. Das Organ der Ingangsetzung wird "Induktionsempfänger" genannt und kann mit einem elektro=dynamischen Mikrophon verglichen werden.

Das derart erzielte elektrische Zeichen genügt, um den Elektronen den Durchgang durch einen Komplex von Germaniumkristallen zu öffnen. Das bedeutet, daß der elektrische Strom der Unruh einen elektromagnetischen Impuls gibt. Man sieht, daß der Transistor die mechanische Stromunterbrechungsvorrichtung ersetzt die durch die Unruh der bis her erzeugten elektrischen Uhren in Bewegung gesetzt wird.

In sämtlichen bisher bekannten und in Gebrauch stehenden elektrischen Kleinuhren (wie z. B. die durch Batterien betriebenen Automobiluhren, deren Kontakt nach ein= bis zwei=jährigem Gang in Unordnung gerät und Unterbrechungen erleidet) ist das empfindlichste Organ der periodische elektrische Kontakt, der bald Störungen unterliegt und eine gewisse mechanische Arbeit erfordert, d.h. die Überwindung einer der Bewegung entgegenstehenden Kraft. Diese verursacht eine allmähliche Abschwächung der Schwingungen der regulierenden Unruh und stört ihre taktmäßige Bewegung. Sie verursacht überdies eine Verschwendung der ohnehin schwachen Energie, die in der Batterie vorhanden ist.

Der Transistor hat den sehr wichtigen Vorteil, daß er die passive Kraft und die unberechenbaren Reibungen der Kontaktvorrichtung unterdrückt. Er ermöglicht es infolgedessen, eine Unruh zu verwenden, die ebenso leicht ist, wie die Uhr mit Federn, und dabei die gleiche Regulierungsfähigkeit beizubehalten.

Man kann noch nicht voraussehen, welche Entwicklung diese neue Art der Ingangsetzung nehmen wird, denn dies hängt vom Fortschritt der Erzeugung von Miniaturtransistoren ab.

Der Transistor gehört in das Gebiet einer neuen elektronischen Technik, deren Möglichkeiten unermeßlich sind. Schwierigkeiten, denen man bisher in der Radioelektrizität begegnete, spielen in der Erzeugung elektrischer Uhren keine Rolle.

Man gibt der Überzeugung Ausdruck, daß der Transistor eine wirkliche Umwälzung in der elektrischen Uhrenerzeugung und in der ganzen gebräuchlichen Zeitmessung hervorrufen wird, denn er macht es möglich, sämtliche Komplikationen abzuschaffen, die durch den Gebrauch von Vakuumröhren mit erhitzten Kathoden entstehen. Überdies versichern die amerikanischen Erzeuger von Transistoren, daß deren Lebensdauer sehr lang ist und ungefähr 70 000 Stunden beträgt.

Während des internationalen Zeitmeßkongresses in Genf (August 1949) wurde darauf hingewiesen, daß die Transistoren die Verwirklichung von radio bewegten Groß= und Klein= uhren ermöglicht. Im Oktober 1954 soll der nächste internationale Zeitmeßkongreß in Paris stattfinden.
("Schweizer Uhr")

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DIE ELEKTRISCHE KLEINUHR

Carl E. Stolle, Uhrmacher= und Elektromechanikermeister

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1954/20

Nach Elektronic - Chimic' *) diese Stellungnahme in Nr. 19/54 der NUZ gibt zu folgenden Betrachtungen Anlaß. Die mit einem Schleier des Geheimnisses umgebenen Ausführungen des Fabrikanten Lip in Nr. 18/52 und Nr. 4/53 habe ich in Nr. 8/53 der NUZ restlos klargestellt.

Bevor diese "elektronische" Uhr der Fachwelt zu Augen kam, sprach Fabrikant Lip in London über eine weitere Neuheit, "der Chimic" und erteilt Ingenieur Lavet das Wort. Dieser schickt voraus, daß Einzelheiten vorerst nicht übergeben werden sollen. In seinen folgenden Darlegungen erzählt er jedoch ganz genau das, was noch nicht preisgegeben werden, sollte.

Die Chimic ist im mechanischen Teil genau gleich der Elektronic. Ein auf der Unruhwelle sitzenden Nocken schaltet bei jeder zweiten Halbschwingung das Zeigerwerk weiter. Der Antrieb der Unruh erfolgt ebenfalls bei beiden durch einen elektromagnetischen Impuls. Als Stromquelle dient ein galvanisches Element mit 1,5 Volt Anfangsspannung. Der Unterschied zwischen beiden Uhren liegt darin, dass die Elektronic durch einen weiteren Nocken auf der Unruhwelle zwei Kontaktfedern aneinander drückt und dadurch den Stromkreis für den Elektromagneten während der Dauer eines Bruchteils einer Sekunde schließt. Dagegen trägt die Chimic an Stelle des zweiten Nocken eine feindrähtige Spule in Rahmenform, die sich zwischen den Polen eines permanenten Magneten dreht. Die Enden der Spule liegen je an einer Spirale, die ihrerseits mit einem Kristall und dem Transistor verbunden sind. Der Transistor ist aber auch mit der Stromquelle und dem Elektromagnet in Reihe gewartet. Dieser Transistor ist nicht stromleitend. Wird aber der in der Spule erzeugte kurze Stromstoß in den Transistor geschickt, dann wird dieser ebenfalls während der gleichen Dauer leitend und läßt den Gleichstrom der Stromquelle durch den Elektromagneten fließen.

Die Drehspule mit zwei Spiralen im Magnetfeld ist ein von Deprez und Arsonval entwickeltes System, das vor mehr als 60 Jahren als Meßwerk in feinsten Gleichstrommessern mit bestem Erfolg eingeführt und bis heute unentbehrlich ist. Der Transistor, ein neues Bauelement in der Funktechnik, wird u. a. in den auf dein amerikanischen Markt erschienenen Taschenradioapparaten anstelle von Röhren verwendet.

Der Vorteil dieses Chimic=Systems ist beachtenswert. Ingenieur Lavet hat Recht, wenn er sagt, Kontakte sind dort Fehlerquellen, wo nur geringe Kräfte zur Verfügung stehen. Die Drehspule arbeitet geräusch= u. reibungsfrei. Ihr von der Unruh entnommener Kraftverbrauch kann vernachlässigt werden.

An dem praktischen Wert solcher Uhren ist nicht mehr zu zweifeln. Ihre Entwicklung erfordert aber Zeit, Geduld und Kapital. Die zur Zeit beliebte Größe der Armbanduhren kann nicht eingehalten werden. Der permanente Magnet und die Stromquelle benötigen beträchtlichen Raum. Das Drehspul-System wird in sehr kleinen Abmessungen für Fotometer hergestellt, aber für die gedachte Uhr ist es noch viel zu groß.

Man sollte vielleicht solche Uhren erst in technisch möglichen Größen herstellen. Der Modeschöpfung dürfte es auch nicht schwer sein, den Geschmack des Publikums zu lenken. Extreme Variationen sind beliebt. (Nach Angaben von Lip und Elgin entspricht die Größe der elektronischen Armbanduhr jener der heute üblichen mechanischen Armbanduhren. Die Schriftltg.)

Die nicht mehr aufzuhaltende Umstellung von der mechanischen zur elektronischen Uhr, zwingt auch den Uhrmacher zu einer beruflichen Umstellung. Kollegen, denen ernstlich an einer solchen Anpassung gelegen ist, sei empfohlen, sich mit der Seit nahezu zwanzig Jahren im Handel erschienenen Batterieuhr von Schild & Co. S.A., La Chaux=de=Fonds (Schweiz) u beschäftigen. Das Modell als kleine Tischuhr in Plexiglasgehäuse läßt alle'Teile und ihre Funktion erkennen. Sie ist genau die, als Neuheit angekündigte Elektronic=Uhr, jedoch in vergrößertem Maßstab. Sie ist ferner für eine Demonstration in der Werkstätte und im Laden geeignet. Die Abwandlung zur Chimic sind ebenfalls leicht vorstellbar. Hier ist das nahezu ein Jahrhundert alte Prinzip des Hipp'schen Pendels unter Verwendung einer Unruh wiedergegeben.

Es bleibt zu hoffen, daß unsere deutsche Uhrenindustrie sich bereits in aller Stille mit diesem Problem beschäftigst und uns eines Tages angenehm überraschen wird.

*) Die Worte "Elektronic" und "Chimic" sind in der deutschen elektrotechnischen Sprache nicht bekannt. Sie werden hier nur verwendet, um die Typen voneinander zu unterscheiden.

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Die Atom-Uhr

Am 30. Januar 1957 sendete die "Stimme Amerikas" folgendes: (nach [Flume1957/2])

Vor 3 Wochen berichteten wir über die elektrische Armbanduhr. Heute können wir bereits wieder über eine sensationelle Erfindung auf dem Gebiet der Zeitmessung berichten:

"USA-Ingenieure sind z.Zt. dabei, eine Atom-Armbanduhr zu bauen, die an Genauigkeit alle bisher existierenden Uhren, einschl. der elektronischen Uhr, übertreffen wird. Die Atom-Armbanduhr wird von einer winzigen elektrischen Batterie angetrieben, welche durch eine radioaktive Substanz gespeist wird und eine Lebensdauer von mehreren hundert Jahren besitzt. Als strahlende Substanz wird wahrscheinlich ein Strontium-Isotop Verwendung finden.. Ein gesundheitlicher Schaden durch diesen radioaktiven Stoff ist nicht zu befürchten,. weil die Strahlungsmenge nicht größer ist, als etwa bei den Leuchtzeigern einer Armbanduhr.

Die Atom-Armbanduhr wird keine Ganggeräusche erzeugen. Sie wird weder Zeiger noch Zifferblatt besitzen, sondern die Zeit nach einem anderen Prinzip anzeigen.

Es wird keine 10 Jahre mehr dauern, dann wird die Atom-Armbanduhr zu einem allgemein gebräuchlichen Gegenstand geworden sein."

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