Die Elektronen-Armbanduhr

in: Neue Uhrmacher-Zeitung 1954/13

Neue Uhrmacherzeitung 13/1953 In unserer Nr. 4/1953 auf den Seiten 5 bis 7 veröffentlichten wir ein interessantes Interview mit Fabrikant Lip um die Erfindung der Elektronenarmbanduhr, welche in Gemeinschaftsarbeit zwischen den Firmen Lip in Frankreich u. Elgin in USA konstruiert u. erzeugt wurde. Solche Uhren wurden nun in einigen Probeexemplaren hergestellt, gewisse Patente genehmigt und publiziert. Von einem dieser Patente können wir heute folgende Einzelheiten. der Konstruktion veröffentlichen.

Patentbeschreibung der Lip=Erfindung

Diese Patentbeschreibung behandelt das dabei angewendete Impulssystem. Es werden keine Aufklärungen darüber gegeben, wie die Balance (Unruh) die Zeiger treibt. Da die Hinundherbewegung der Balance zu einer Rotation in einer Richtung verwandelt werden muß, wird wahrscheinlich eine Art Sperrvorrichtung verwendet.

Einzelheiten der Balance und der elektrischen Teile werden in der Skizze, welche der Patentbeschreibung entnommen ist, gezeigt. In der Figur 1 fungiert der Arm 6 nur als elektrischer Kontakt und nimmt an der Impulserteilung für die Balance nicht teil. Da die Kraft auf mechanischem Wege nicht zugeführt werden kann, fehlt eine Gangpartie. Ganz unten rechts sieht man die Spule 9, und ihr Polstück 10 mit den vorspringenden Partien 18 und 20, an welchen magnetische Felder gebildet werden, wenn die Spule von einem Strom durchflossen wird.

Von der Batterie, die in die Uhr eingebaut ist, geht der Strom durch die Leitung 16 zur Brücke (wörtlich = Schraubstock) und fließt durch die Spirale zur Rolle. An der Stelle, wo gewöhnlich der Impulsstift angebracht ist, befindet sich ein Kontaktstift 2. Wenn dieser Stift mit dem Arm 6 Kontakt hat, fliegt der Strom durch den Stift, geht weiter durch den Kontaktarm 6, entlang der Leitung 11 der Spule und dann auf dem Weg über die Leitung 8 zurück zur Batterie.

Das Impulssystem

Abbildung aus LIP Patent von 1949 Die Arbeitsweise der elektrischen Balance geht am besten aus Figur 2 hervor, wo man den Kontaktstift 2 sieht, der, aus leerendem Material mit einem Segment 3, aus leitendem Material verfertigt ist. Wenn dieses Segment mit dem Schenkel an der Gabel in Kontakt ist, ist der elektrische Kreis geschlossen, wenn aber der Stift den Schenkel 4a mit seinem isoliert Teil berührt, ist der Kreis unterbrochen.

Wir stellen uns nun vor, daß die Balance sich so bewegt der Pfeil F1 (Figur 2) zeigt. Das Segment 3 des Kontaktstiftes ist mit dem Schenkel 4 der Gabel in Kontakt gekommen schließt dadurch den durch die Spule laufenden Strom. Spule magnetisiert das Polstück so, daß ein Kraftfeld an Enden 18 und 20 gebildet wird. An der Gangrolle (Plateau) findet sich ein Stück weiches Eisen 17, das wie die 1 befestigt ist. Die weiche Eisenmasse wird angezogen vom Ende 18 des Polstückes, das der Balance einen Impuls in der Richtung gibt; die der Pfeil F1 anzeigt. Gleichzeitig entfernt sich der Kontaktstift von der Gabel, wodurch der Strom unterbrochen wird. Die Balance bewegt sich weiter, bis die Spirale ihre Schwingungsrichtung ändert, wie der Pfeil F2 zeigt. Wenn der Kontaktstift jetzt wieder mit der Gabel in Berührung kommt, erhält man keinen elektrischen Kontakt, weil die isolierte Stelle des Stiftes mit dem Schenkel. 4a in Berührung kommt.

Eine Funktion bleibt noch zu erklären. Wenn die Balance ihren Impuls erhält, also in der Lage wie Figur 2 zeigt, ist es wichtig, daß zwischen dem Stift und der Gabel ein guter Kontakt entsteht. Im anderen Ende des Arms befindet sich eine Weicheisenmasse 19, die vom Polstück 20 angezogen wird, wenn der Strom geschlossen wird. Das zwingt den Arm, dem Kontaktstift einen gewissen Widerstand entgegenzusetzen. Dadurch erhält man einen guten Kontakt zwischen dem Stift und dem Kontaktarm.

Die Batterie und der Energieverbrauch in der Uhr

Es ist gelungen, die Batterie - von 1,3 Volt - so zu konstruieren, daß sie zwei Jahre lang die Spannung konstant erhält, um dann in wenigen Tagen rasch zu sinken. Dies ist natürlich von großer Bedeutung für den richtigen Gang der Uhr. Eine andere wichtige Sache ist die, daß die Batterie sehr klein ist und keine Gase abgibt, die den Teilen der Uhr schaden könnten,

Der ganze Energieverbrauch des Motors ist nur ein Hunderttausendstel von dem einer Taschenlampe oder ein Dreitausendstel des Verbrauchs bei den besten elektrischen Autouhren. Der niedere Energieverbrauch erklärt sich teilweise aus der kurzen Kontaktzeit, die nur eine Tausendstelsekunde ausmachen soll. Die Berührungszeit der Kontaktoberflächen muß jedenfalls länger sein, auch wenn der Störungswinkel der Balance bei diesen Uhren nur 8 Grad ist, während dieser Winkel bei einer Ankeruhr ungefähr 30 Grad ist. Da der Strom hundertfünfzigmal in der Minute geschlossen wird, zeigt eine einfache Berechnung, daß der Kontakt jedesmal ungefähr eine Hundertstelsekunde geschlossen ist, aber - wie bereits erwähnt hat der elektrische Impuls eine Dauer von einer Tausendstelsekunde, also nur ein Zehntel der mechanischen Kontaktzeit. Das deutet darauf hin, daß das Geheimnis der Uhr darin liegt, daß ein Wechselstrom der einen oder anderen Art vorkommen muß.

Dadurch, daß man entdeckt hat, wie man einige seltene Metalle verwendet, welche nach neuen Methoden behandetl u. auf eine besondere Art poliert worden waren, ist es möglich gewesen, Oxydation zu vermeiden. Der Strom wird hundertfünfzigmal in der Minute von einer Kontaktvorrichtung geschlossen, die nur ein halbes Zehntausendstelgramm wiegt.

Der Motor darf nicht mehr als Zwölfmillionstelwatt verbrauchen, weil die Batterie nicht mehr liefern kann. Die Damenarmbanduhr, die man gerade konstruiert, darf nicht mehr damit in Zukunft eine Uhr mit einem Verbrauch von nur drei Mikrowatt mit einer Gangzeit von nicht weniger als fünf Jahren herstellen zu können.

Sind die Uhren elektronisch?

Es ist die Frage gestellt worden, ob die Uhr elektrisch oder elektronisch ist, Eine elektronische Uhr würde bedeuten, dass sich einige Vorgänge nicht in gewöhnlichen Kupferleitern, sondern in Elektronenröhren oder entsprechenden Vorrichtungen abwickeln. Aus den bisher erhältlichen Konstruktionsbeschreibungen der Uhr ist nicht hervorgegangen, inwieweit solche Vorrichtungen vorkommen oder nicht. Der Hersteller hebt jedoch hervor, daß die Uhr elektronisch ist, und deutet an, daß sich zwischen der Batterie und dem Motor einige neue Details befinden, welche in Amerika entwickelt wurden und welche bewirken, daß die Energie besser ausgenutzt wird. Es wird auch angedeutet, daß diese Konstruktionsdetails einen Zusammenhang mit den neulich erfundenen elektronischen Organen hätten, dem Transistor u. dem Termistor. Ein Transistor fungiert im Prinzip wie der Kristall eines Radioempfängers und kann weitgehend eine Radioröhre ersetzen, aber hinsichtlich der Größe kann er gleich klein gemacht werden wie der Zündkopf eines Zündhölzchens. Er kann als ein Organ angesehen werden, das Strom in Spannung oder Spannung in Strom verwandelt. Ein Termistor kann dadurch wichtige Funktionen haben, daß er den Strom im Kreis stabilisiert.

Nach den Äußerungen des Fabrikanten zu schließen, arbeitet die Uhr mit Wechselstrom und die zwei oben erwähnten elektronischen Organe würden als Grundelemente in einem solchen Wechselstromerzeuger verwendet werden können. Wenn Wechselstrom wirklich zur Anwendung kommt, kann man sich denken, daß Funkenbildung an der Kontaktstelle vermieden werden kann.

Der Fabrikant gibt an, er habe die Absicht, nicht weniger als ca. vierzig Patente für verschiedene Konstruktionsdetails der Uhr herauszubringen, weshalb nicht alle Geheimnisse der Uhr veröffentlicht werden können, bevor das Patent rechtskräftig geworden ist.

Einige hundert Uhren sollen z. Zt. versucht werden und fünftausend in Arbeit sein, aber sie werden nicht verkauft werden, bevor tausend Uhren geprüft worden sind.

Es wird ferner hervorgehoben, daß viele der Fehler, die gewöhnlich einer mechanischen Uhr anhaften, in der elektronischen Uhr nicht vorkommen können, weil sie keine Gangpartie hat. Als Ziel der konstruktiven Bestrebungen scheint man sich eine Uhr zu setzen, die ohne irgendwelche bewegliche Teile funktioniert - keine Räder und kein Gang, ja vielleicht nicht einmal Zeiger im gewohnten Sinn!

Eines dürfte wohl sicher sein, nämlich, daß die Elektrizität die Zukunft für sich hat, auch hinsichtlich der tragbaren Uhren.

(Aus "Svensk Urmakeri=Tidning", Stockholm, und "Der Uhrmacher", Graz).

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