Ein interessantes Interview

Fabrikant Lip plaudert über die Erfindung der "Electronic-Uhr"

aus: Neue Uhrmacher Zeitung 1953/4 (28. Februar 1953)

Frage: "Ihre Uhr hat eine sehr große Neugierde erweckt und wir möchten gerne, daß Sie uns selbst das Wort Electronic auseinandersetzen, zumindest, was die Verwendung dieses Wortes in bezug auf diese neue Uhr betrifft."

Antwort: "Der Name ,Electronic' ist eine angemeldete Marke, die für dieselbe Uhr verwendet wird, welche physikalisch eine elektrische Uhr ist. Jedoch haben ihre Herstellung, ihre Montage und ihre Kontrolle die Errichtung, eines manchmal bereits bestehenden, manchmal neuen Maschinenparks erforderlich gemacht. Die Uhr hätte niemals geschaffen werden können, wenn die Elektronentheorie seit einem Jahrzehnt nicht Riesenfortschritte gemacht hätte."

Frage: "Stellt die Elektronentheorie, welche in Ihrer Fabrik und bei Ihnen selbst eine große Anerkennung findet, etwas Bedeutendes dar?"

Antwort: "Die Elektronentheorie ist für uns ein Kapital. In unserer Fabrik sowie in der Elgin=Fabrik in USA, hat die Elektronentechnik es ermöglicht, Riesenschritte bei der Fabrikation, der Zusammensetzung und der Kontrolle der Uhren zu machen, einerlei, ob es sich um gewöhnliche, automatische oder elektrische Uhren handelt.

Vergessen Sie nicht, daß die Geräte zum Kontrollieren des Ganges der Uhren oder um die Spiralfedern halb automatisch abzuzählen, rein elektronische Geräte sind und daß auf der ganzen Welt mehr als 10000 davon Verwendung finden. In Frankreich allein gibt es ganz gewiß mehr als 1000 elektronischer Geräte zum Aufzeichnen des Ganges der Uhren, und zwar sowohl bei den Uhrmachern als auch bei den Grossisten und bei den Fabrikanten. In unserer Fabrik in Besancon zum Beispiel stehen 32 Geräte der Registriertype und der Marke Lepaute. Überdies sind dort sowohl für die Zusammensetzung wie für die Kontrolle ungefähr hundert Maschinen, die eine elektronische Arbeitsweise aufweisen und die entweder außerhalb oder in unserer Fabrik selbst hergestellt wurden. Die Elektronentheorie ist uns so wichtig erschienen, daß wir eine Abteilung für die Herstellung elektronischer Apparate gegründet haben, welche auch Apparate für andere Fabriken der Uhrenpräzisionsmechanik herstellt."

Frage: "Einige Gemüter hatten Veranlassung zu sagen, daß Ihre elektrische Uhr nur die Wiedergabe von bereits früher vorhanden gewesenen Uhren wäre."

Antwort: "Sie können sich vorstellen, daß Elgin in den USA und wir selbst in Europa die Gesamtheit der Versuche, der Proben, der intellektuellen Forschungen und die mit elektrischen Uhren im allgemeinen und im besonderen mit unserer Uhr zusammenhängenden Patente studiert haben. Es sind mit schweren und voluminösen Taschenuhren zusammenhängende Versuche gelungen, welche eine Regulierung ergaben, die nicht einmal so viel wert war, wie die mechanischer Uhren, und die nur einige Monate funktionieren konnten. Die mutigsten Forscher, die gewiegtesten Wissenschaftler konnten vor 20 oder 30 Jahren keine elektrische Armbanduhr herstellen, die mehrere Jahre zu gehen vermag. Die Metalle, die plastischen Materialien, die Kontrollinstrumente, die wissenschaftlichen Erkenntnisse vor 30 Jahren gestatteten es noch nicht, derartige Uhren herzustellen.

Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Der Reaktionsmotor, der jetzt vervollkommnet ist und von allen Flugzeugen auf der Welt verwendet wird, wurde vor 25 Jahren gezeichnet und ausprobiert, dann aber aufgegeben worden, da er angeblich nicht herzustellen war. Dank der wissenschaftlichen Kriegsarbeiten, dank der auf dem Gebiete der Elektronentheorie erzielten Fortschritte, dank der wertvollen Männer, vor allem des Herrn De Saint=Vaulry, ist die elektrische Armbanduhr heute auch Tatsache."

Frage: "Man hat gesagt, daß Ihre Uhr nur ein vereinzeltes Musterexemplar wäre und daß ihre Herstellung erst in Jahr= zehnten möglich sein würde."

Antwort: "Ich werde noch weiter gehen als Sie. Man hat sogar vor einigen Monaten bei einem wissenschaftlichen Kongreß der Chronometrie gesagt, daß eine elektrische Armbanduhr nicht herstellbar wäre und daß man elektrische Uhren nicht länger als 24 Stunden gehen lassen könnte. Zu dieser Zeit waren wir im Begriffe, unter dem Siegel größter Verschwiegenheit zu arbeiten, wir haben uns jedoch sehr belustigt, denn zu dieser Zeit funktionierten unsere Uhren schon seit mehr als 18 Monaten.

Von den derzeitigen elektrischen Uhren unserer Erzeugung gibt es zehn Exemplare, die gehen, die funktionieren, die getragen werden, die im Observatorium sind oder die auf dem Weg eines Versuches sind. Elgin in den Vereinigten Staaten hat die gleiche Zahl von Uhren, die verschiedenen Proben unterliegen und verglichen werden. Ich will Ihnen nicht verheimlichen, daß andere große Fabrikanten auf der Welt Vorarbeiten in dieser Uhrentype angestellt haben, und daß es manche Musterexemplare gibt, welche Patente zur Grundlage haben, die auf fast fünf Jahre zurückreichen. Unsere Fabriken haben augenblicklich eine Serie von 500 Uhren in Arbeit."

Frage: "Gerade wollte ich Sie nach Ihrem Programm fragen, zu welchem Zeitpunkt Ihre Firma, sei es in Frankreich oder nach dem Ausland, Uhren dieser Type liefern wird."

Antwort: "Ich sagte Ihnen, daß wir augenblicklich 500 Uhren in Arbeit haben, und zwar im 'entwickelten Laboratoriumsstadium', d. h. auf halbem Wege der 'kleinen Fabrikation'.

Unsere Werkzeugausrüstung ist derzeit in Arbeit und die neuen Maschinen, die wir gezwungen waren, zu entwerfen, herzustellen und auszuarbeiten, sind derzeit in Fabrikation oder vor der Fertigstellung. Wir könnten Uhren in einigen Monaten liefern, diese Uhren hätten jedoch einen prohibitiven Preis, denn sie wären in einem Laboratoriumsgeiste hergestellt und die zukünftigen elektronischen Uhren müssen in großen Serien durch normale maschinelle und elektrische Mittel erzeugt sein." 

Frage: "Geben Sie uns den Tag an, wann Sie beabsichtigen, mit Ihrer Uhr an die Öffentlichkeit zu treten?"

Antwort: "Unsere Fabrikationspläne sehen eine Serie von 10000 Uhren vor, welche nach dem Stand der Prüfungen und Proben Ende 1953 geliefert werden und dem Publikum erst Anfang 1954 zugänglich gemacht werden, denn es handelt sich nicht darum, gewisse Erfahrungen durch das Publikum und durch die Uhrmacher machen zu lassen, sondern dieses neue Erzeugnis muß zu normalen Preisen und unter tadellosen Qualitätsbedingungen geliefert werden, zudem dürfen Uhren weder eine Komplikation noch eine Schwierigkeit für den Uhrmacher mit sich bringen. Wenn wir eine Uhr nach Art der Radiofabrikation mit Lötungen und den üblichen Handgriffen hätten entwerfen wollen, hätten wir sechs Monate gewonnen. Wir sind jedoch nichtsdestoweniger Uhrmacher und unsere Uhr ist im Uhrmachergeiste hergestellt worden, d.h. Auswechselbarkeit, unter Berücksichtigung der Möglichkeit, den Antriebsblock auf einmal abzumontieren und vor allem der Möglichkeit, bei einer elektronischen Uhr das Auswechseln der Batterien bzw. das Herausnehmen der alten Batterie, das Einsetzen der neuen Batterie in weniger als einer Minute vorzunehmen.

Damit will ich sagen, daß es sich hier nicht um ein Manipulations= und Montageproblem handelt, das .mit einem Büchsenöffner und einem Paar Noppeisen gelöst werden kann."

Frage: "Werden Sie Ihre Uhrmacher in Elektriker umwandeln oder fassen Sie ins Auge, daß diese Uhren von Elektrikern verkauft werden sollen?"

Antwort: "Diese Uhr ist: von zwei großen Uhrenfabriken, Elgin und Lip, entworfen worden. Sie werden an die Uhrmacher verkauft werden und sie sind für die Uhrmacher entworfen worden. Der Handel von Uhren und insbesondere von Taschen= und Armbanduhren muß von Leuten vorgenommen werden, welche Erfahrung in der Uhrmacherei haben, kurz Erfahrung in der Zeitmessung und Präzision."

Frage: "Zwei Fragen noch zum Schluß. Zuerst, ist diese Uhr auf Grund ihres elektrischen Teiles empfindlich für magnetische Einflüsse?"

Antwort: "So wie diese Uhr entworfen und geschützt worden ist, ist sie für plötzliche magnetische Erscheinungen weniger empfindlich als eine normale Uhr und weit weniger empfindlich für Remanenzerscheinungen, d. h. den Magnetismus, der in den Uhren bleibt, die einem magnetischen Feld unterworfen waren. Die elektronische Uhr erträgt die Einflüsse des remanenten Magnetismus unendlich besser als eine normale Uhr."

Frage: "Um zu schließen: Wird die Reparatur oder die Instandhaltung dieser Uhren komplizierter sein als die gewöhnlicher Uhren und im Bereiche der reparierenden Uhrmacher ohne eine spezielle Fachbildung möglich sein?"

Antwort: "Eine elektronische Uhr kann viel leichter instandgehalten, geölt, repariert werden als eine übliche automatische Uhr. Alles ist abmontierbar, keine Lötung, keine andere Befestigung als durch Schrauben. Was die Antriebsvorrichtung anbelangt, so ist dies der Stator; ein montiertes Ganzes mit den Wicklungen, das ohne jede Komplikation und ohne Regulierung auswechselbar ist. Selbstverständlich wird die Uhr mit Stoßsicherung ausgestattet sein, und es wird vor allem kein Abmontieren des gebrochenen Sperrkegels oder der zu ersetzenden Zugfeder geben.

Ich glaube, Ihnen auf diese Weise alle wichtigen Informationen gegeben zu haben und hoffe, gewisse Mißverständnisse zerstreut zu haben. Man darf nicht mehr sagen oder man darf nicht sagen, es handle sich um eine Neuheit von Lip. Man muß sich dessen klar sein, daß es bis 1952 eine wundervolle mechanische Uhrmacherei gegeben hat mit allen ihren Vorzügen und allen ihren Komplikationen, und daß von jetzt an, früher oder später alle Fabrikanten, welche die elektrische Uhr zu würdigen wissen oder sie kritisieren, gezwungen sein werden, eines Tages darauf zurückzukommen. Es wird nicht im Jahre 1953 sein, daß alle Marken der Welt elektrische Uhren anbieten werden, jedoch die Entwicklung wird ebenso voranschreiten, wie die der Hemmung, der Breguet=Spirale, der automatischen Uhr. Die elektrische Uhr wird unfehlbar an die Stelle der derzeitigen Uhr treten.

Augenblicklich stehen Elgin in den Vereinigten Staaten und Lip in Europa an der Spitze dieser Bewegung, jedoch werden bald andere großen Firmen andere elektrische Uhren auf Grund anderer Patente erzeugen und eine vollkommene Zusammenarbeit wird sich als notwendig erweisen; diejenigen, welche nicht daran glauben, werden sich durch Tatsachen, belehren lassen müssen."

Frage: "Man hat viel vom Preis gesprochen. Können Sie uns gegebenenfalls diesbezüglich etwas Näheres sagen?"

Antwort: "Wir glauben, daß die "Electronic"=Uhr an das Publikum in der ersten Zeit zum Preis einer guten automatischen Uhr verkauft werden wird, dann in der Folge dürfte die "Electronic"=Uhr einen Durchschnittspreis zwischen einer guten Markenuhr und einer guten automatischen Markenuhr beanspruchen."

Noch einmal: DIE »ELEKTRONISCHE« UHR

Von Carl E. Stolle (aus: Neue Uhrmacher-Zeitung 1953/8)

Die Abhandlungen in der NUZ Nr. 18/1952 Seite 702 und in Nr. 4/1953 Seite 5 geben Anlaß, diese Uhr unter die Lupe zu nehmen. ...

... Während die Abhandlungen in der NUZ verwirrend, widersprechend und die Antworten ausweichend sind, spricht das in Nr. 18/1952 veröffentlichte Foto eine eindeutig aufgeschlossene Sprache. ...

... Das Bild zeigt uns weiter mit aller Deutlichkeit den Elektromagnet in annähernder Hufeisenform. Seine Polschuhe umfassen die Unruh. Die auf dem Joch sitzende Spule ist ebenfalls gut erkennbar. Der auf der Unruhwelle sitzende Anker ist verdeckt. Ebenfalls verdeckt ist der Kontakt, der bei jeder zweiten Schwingung durch einen auf der Unruhwelle sitzenden Nocken sehr kurzzeitig geschlossen wird. Ein zweiter Nocken schaltet über ein Zahnradvorgelege die Minutenwelle weiter. Der Anbringung eines Sekundenzeigers steht nichts im Wege. Bei Verwendung einer Kompensationsunruh evtl. in Verbindung mit einer Nivaroxspirale ist eine Reglage zu erreichen, die dem besten Ankerwerk nicht nach steht.

Das Prinzip dieser, sagen wir in bescheidener Technikersprache Elektrokleinuhr, ist in größeren Abmessungen und gröberer Ausführung in der NUZ beschrieben und skizziert. Es handelt sich um ein Schweizer Fabrikat, welches seit etwa 1938 als kleine Tisch= und Wanduhr im Handel ist. Im Vergleich zu der heute gebräuchlichen Armbanduhr wird die Elektrokleinuhr noch relativ robust sein. Durch geringe Empfindlichkeit, günstigere Preisgestaltung wird sie gekennzeichnet sein. Die Reparatur wird das Auge nicht mehr über Gebühr beanspruchen und nicht mehr soviel Verdruß auslösen, sie besteht in der Hauptsache in der Auswechslung des Elements, in größeren Abständen der komplette Kontakt und schließlich die Unruh mit Lagerung. ... 

... Daß eine solche Uhr über viele Versuche, Modelle und Erfahrungen entwickelt wird, ist selbstverständlich. Diese Uhr kommt, sie ist im Anmarsch und bringt in der Kleinuhren=Industrie und Uhrmacherei einen Wandel. Die Elektrizität hat unser gesamtes Kulturleben grundlegend umgestaltet und wird vor den restlichen Kleinigkeiten nicht halten. Es ist nun zu wünschen, daß sich unsere Uhrenindustrie unverzüglich an die Entwicklung dieser Uhr macht.

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