Uhren mit mechanischem Schwinger

Allgemeines

Die seit Jahrhunderten gebauten Räderuhren mit mechanischem Schwinger wie Pendel oder Unruh hatten eine bestimmte Richtung des Energieflusses. Von einem Energiespeicher, z. B. dem Gewicht oder der Zugfeder, wurde über ein Räderwerk das zeitbestimmende Element, Unruh oder Pendel, angetrieben. Gleichzeitig, praktisch im Nebenschluss dazu, wurden über eine entsprechend gewählte Räderuntersetzung die Zeiger angetrieben, so dass Stunden, Minuten und Sekunden angezeigt werden konnten. Bild 1 zeigt schematisch diesen Aufbau. Um den Schwinger mit Energie zu versorgen, müssen größere Kräfte übertragen werden. Alle Unregelmäßigkeiten des Räderwerks und andere langzeitliche Veränderungen bewirken eine Änderung der Amplitude des Schwingers, die mehr oder minder starke Gangabweichungen hervorruft.

Bild 1: Energiefluss in einer herkömmlichen Räderuhr

Bei der elektronischen Uhr kehrt sich der Energiefluss um, wie Bild 2 zeigt. Die Energiequelle, eine Batterie, liefert über die Elektronik und den elektromechanischen Wandler direkt Energie an das zeithaltende Glied. Das ist von großem Vorteil, weil der Energiefluss zum Schwinger unabhängig vom Verschleiß und den Toleranzen des Räderwerks ist. Der Schwinger wird immer mit einer angepassten Leistung angetrieben. Für die Dimensionierung des Räderwerks sind daher andere Gesichtspunkte maßgebend, da nur die Kraft zum Antrieb der Zeitanzeige übertragen werden muss. Sinnvoll eingesetzte Kunststoffe haben sich hier als sehr wirtschaftlich und energiesparend bewährt.

Bild 2: Energiefluss in einer elektronischen Räderuhr

Bei nieder- und mittelfrequenten Schwingsystemen erfolgt der Antrieb elektrodynamisch. Das Prinzip besteht darin, dass eine stromdurchflossene Flachspule in Wechselwirkung mit einem inhomogenen Dauermagnetfeld steht. Spulenebene und Magnetfeld stehen senkrecht aufeinander. Die Spule oder das Magnetsystem ist dabei Teil des Schwingers. Die Spule wird von einem Impulsstrom durchflossen, der dem Schwinger mit jedem Impuls soviel Energie zuführt, dass dieser mit weitestgehend konstanter Amplitude schwingt. 

Energetische Zusammenhänge

Zur vereinfachten Beschreibung der energetischen Verhältnisse während des Anlaufs und im eingeschwungenen Zustand wird die runde Flachspule gedanklich durch eine quadratische Spule mit der Windungszahl w und der Seitenlänge d ersetzt, Bild 3. Die magnetische Induktion B ist eindimensional inhomogen und durchdringt die Spule senkrecht. Der Gradient dB/dx verläuft dabei parallel zu einer Spulenkante in Richtung x. Die Spule wird von einer Stromquelle mit der Spannung UB gespeist. Die Induktivität der Spule kann vernachlässigt werden, und es wird nur ihr ohmscher Widerstand RL berücksichtigt.

Bild 3: Ersatzbild der vereinfachten Antriebsspule

Wird die Spule mit der Geschwindigkeit vx durch das inhomogene Magnetfeld bewegt, so ergeben sich folgende Beziehungen:

Für die induzierte Spannung gilt: uin = B * l * v (Leiterlänge l = w * d)

uin = (B1 - B2) * d * w * vx

Durch die Spule fließt dann der Strom

i = (UB  - uin) / RL

Für die Kraft auf eine stromdurchflossenen Leiter gilt F = B * l * i und damit für die Kraft auf die stromdurchflossene Spule:

Fx = F1 - F2 = (B1 - B2) * d * w * i = (uin * i) / vx

Auf die Unruh wirkt die mechanische Antriebsleistung Fx * vx

Fx * vx = uin * i = uin * (UB - uin) / RL

Die mechanische Antriebsleistung ist umgekehrt proportional zu RL. Bei zu großem Spulenwiderstand reicht diese nicht mehr aus, um den Schwinger auf die Sollamplitude zu bringen. Die mechanische Antriebsleistung hängt zudem quadratisch von der induzierten Spannung uin ab und erreicht bei konstantem Spulenwiderstand RL ihr Maximum, wenn uin = 0,5 * UB ist.

Von der Antriebsschaltung her gesehen ist der Wirkungsgrad und die Leistungsaufnahme des elektrodynamischen Unruhantriebs wichtig, denn mit der aus einer Batterie verfügbaren Energie muss die Uhr ein Jahr lang angetrieben werden. Im eingeschwungenen Zustand kann die induzierte Spulenspannung uin leicht gemessen werden, und es ergeben sich damit einfache Leistungsbeziehungen.

Als Wirkungsgrad definieren wir den Quotienten aus mechanischer Antriebsleistung uin * i und Batterieleistung UB * i. Dem Wirkungsgrad n entspricht daher bei einem vorgegebenen Uhrwerk näherungsweise der anschauliche Wert uin/UB:

n = mech. Antriebsleistung / Batterieleistung ~ uin/UB

Da die mechanische Antriebsleistung bei uin = 0,5 UB ihr Maximum hat, liegt bei einem Wirkungsgrad von n = 0,5 somit die Leistungsanpassung des Antriebssystems vor.

Induzierte Spulenspannung und Magnetsystem

Die Forderung nach ausreichender Antriebsleistung bei möglichst hohem Wirkungsgrad ist gleichzeitig die Forderung nach einer hohen induzierten Spannung bei niedrigem Spulenwiderstand. Im vorigen Abschnitt wurde die vereinfachte Gleichung für die bewegte Spule im inhomogenen Magnetfeld aufgestellt. Die vereinfachte Gleichung für die induzierte Spulenspannung lautet:

uin = dO/dt = w * A * dB/dx * dx/dt

Darin ist A die effektive Spulenfläche, dB/dx der Gradient des Magnetfeldes, dx/dt die Relativgeschwindigkeit zwischen Spule und Magnetsystem

Es gibt folgende Möglichkeiten, die induzierte Spulenspannung uin zu vergrößern:

  1. Windungszahl der Spule erhöhen
  2. Spulenfläche vergrößern
  3. Feldgradienten vergrößern durch:
    a) Übergang von Ein- auf Zwei- oder Dreimagnetsystem 
    b) Verwendung stärkerer Magnete
    c) Verwendung von Magnetpaaren
    d) Verringerung der Abstände
    e) Verbesserung des magnetischen Rückschlusses 
  4. Relativgeschwindigkeit von Spule und Magnetsystem erhöhen durch:
    a) Frequenzerhöhung der Unruh
    b) Vergrößerung der Schwingungsamplitude
    c) Vergrößerung des Schwingungsradius

Alle Maßnahmen außer 3a) haben nur Einfluss auf Höhe und Dauer der induzierten Spulenspannung. Bei Maßnahme 3a), Übergang von Ein- auf Zwei- oder Dreimagnetsystem, tritt eine grundsätzliche Änderung der Form der induzierten Spulenspannung ein, wie Bild 4 zeigt. Die Geschwindigkeit vx der Spule ist in Bild 4 als konstant angenommen.

Bild 4: Verlauf von Induktion und induzierter Spannung beim
a) Einmagnetsystem
b) Zweimagnetsystem
c) Dreimagnetsystem

Beim Ein- und Dreimagnetsystem hat die induzierte Spulenspannung beim Hin- und beim Rückschwung der Unruh den gleichen Spannungsverlauf. Beim Zweimagnetsystem ändert sich die Polarität der Spannung mit der Schwingungsrichtung. Für alle drei Spannungsverläufe gilt, dass das Maximum der induzierten Spannung proportional zur Schwingungsamplitude der Unruh ist.

Zeitpunkt des Antriebsimpulses

Um ein gedämpftes Schwingungssystem mit konstanter Amplitude schwingen zu lassen, muß man den Energieverlust durch eine gleichgroße Energiezufuhr ausgleichen. Der Einfluss der zugeführten Energie auf die Frequenz ist um so geringer, je größer die momentane kinetische Energie des Schwingers ist. Am günstigsten erfolgt die Energiezufuhr durch einen kurzen Antriebsimpuls, der beim Durchgang des Schwingers durch die Ruhelage wirksam ist.

Steuerung des Antriebsimpulses

Man muss versuchen, zu erreichen, dass der Antriebsimpuls zum energetisch günstigsten Zeitpunkt ausgelöst wird. Aus den vorhergehenden Überlegungen gilt für dieses Optimum:

  1. Die induzierte Spannung erreicht ihr Maximum.
  2. Die kinetische Energie der Unruh erreicht ebenfalls ihr Maximum

Beide Forderungen sind leicht vereinbar, wenn im Ruhezustand Spule und Magnetsystem so justiert werden, dass sich die Spule im Bereich des größten Feldstärkegradienten innerhalb des Magnetfeldes befindet. Im eingeschwungenen Zustand ist der richtige Zeitpunkt für den Stromimpuls dann erreicht, wenn die induzierte Spannung ihr Maximum hat. Da dieser Punkt gut definiert ist, ist eine mechanische Steuerung durch einen nockenartigen Schaltkontakt auf der Unruhwelle möglich. Diese Steuerung wurde bei den Kontaktwerken benutzt, siehe Bild 5. Allerdings ist die Justierung der langen Kontaktfedern kritisch. Um die Reibungsverluste klein zu halten, ist der Kontaktdruck gering. Im Betrieb kann sich die Kontaktgabe mit der Zeit verschlechtern. Der nicht mehr sauber geschaltete Stromimpuls mindert die Antriebsleistung und führt zu Gangfehlern der Uhr.

Bild 5: Schaltbild des Kontaktwerkes

Es ist daher ratsam, den mechanischen Schalter durch einen störungsfrei arbeitenden Transistor zu ersetzen. Um ihn ansteuern zu können, kommt jetzt zur Antriebsspule die Steuerspule hinzu. Sie ist erforderlich, um den Steuerimpuls für den Transistor zu erzeugen. Überschreitet die in der Steuerspule induzierte Spannung die Schaltschwelle des Transistors, die Basis-Emitter-Spannung, so wird der Transistor durchgesteuert, und der Batteriestrom kann durch die Antriebsspule fließen. Nimmt die induzierte Spannung wieder ab, dann wird der Transistor wieder gesperrt.

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